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Mord mit kleinen Fehlern

Titel: Mord mit kleinen Fehlern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Scott
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blickte sie prüfend in das dazugehörige Gesicht. Kein Kevin. Aber sie fühlte, dass er da war.
    Anne ging zur Locust Street und reckte den Hals. Sie wollte schauen, ob der schwer arbeitende Junge an der Ecke immer noch da war. Das war er, und sein Vorrat an Flugblättern war gefährlich niedrig, Beweis dafür, dass es ihm gelungen war, der Öffentlichkeit mit viel Eifer Werbemüll anzudrehen. Schweißperlen zierten seine Brauen, und er sah aus der Nähe noch sehr viel jünger aus, vielleicht um die sechzehn. Seine Haare waren raspelkurz geschnitten, und er trug eine schwere goldene Kette über seinem Esst-bei- Bobo-T-Shirt, passend zu seinen Werbezetteln. Verdammt . Anne wünschte, sie hätte an passende T-Shirts zu ihren Flyern gedacht. Mentale Notiz: Di e juristisch e Fakultä t bring t ech t gar nichts.
    Sie wurde langsamer, als sie sich dem Teenager näherte, gab den Reportern und Touristen die Chance, um ihn herumzuströmen. Als sie neben ihm stand, öffnete sie die Hand. Es lag ein Hundert-Dollar-Schein darin, den sie aus der Kaffeetasse im Büro genommen hatte. Sie ließ ihn aufblitzen. »Möchtest du ein paar Flugblätter für mich verteilen?«
    »Klar doch, Clown«, erwiderte er, nahm den Geldschein und den großen Umschlag. Er öffnete den Klebeverschluss, ließ die Flugblätter herausgleiten und las das oberste durch.
    Anne konnte nicht anders, als über seine Schulter hinweg mitzulesen. Sie hatte den Text auf rotes Papier gedruckt, und die obere Hälfte bestand aus der Zeichnung, die Judy angefertigt hatte. Den Text hatten sie gemeinsam entworfen.

    AN ALLE REPORTER!
    HIER ERFAHREN SIE, WAS DIE POLIZEI
    VOR DEN MEDIEN GEHEIM HÄLT!
    Wollen Sie die heißeste Spur im Mord an
    Anne Murphy aufdecken? Suchen Sie diesen Mann!

    Sie sehen ihn hier in einer Skizze. Sein Name ist Kevin  Satorno, und er ist der Hauptverdächtige im Mord an Anne Murphy, aber das hat die Polizei Ihnen bislang noch nicht gesagt.
    Satorno ist ein weißer Amerikaner, 29 Jahre alt, ungefähr einen Meter achtzig groß, 87 Kilo schwer, mit hellblonden Haaren und blauen Augen. Er ist vor kurzem aus einem kalifornischen Gefängnis entflohen, in dem er seit einem Jahr wegen tätlichen Angriffs einsaß: Satorno hat schon damals versucht, Murphy zu ermorden. Suchen Sie ihn  und kommen Sie der Konkurrenz zuvor!
        
    Anne hielt das Flugblatt für überaus gelungen. Eine brillante Idee. Die Presse war mindestens so hartnäckig wie die Cops und von Beruf aus aggressiv. Warum sich die Reporter nicht zunutze machen? Sie einem guten Zweck zuführen? Sie für sich, nicht gegen sich, arbeiten lassen? 
        »Was für eine Scheiße ist das denn?«, wollte der Junge mit jugendlicher Geringschätzung wissen.
    »Das ist ein Flugblatt. Du musst es nur jedem Reporter in die Hand drücken, der dir über den Weg läuft. Fernsehen, Zeitung, allen. Jedem, der eine Kamera oder ein Mikro in der Hand hält. Hast du mich verstanden? «
    »Was ist mit der Kleinen von Kanal Zehn?« Der Junge nickte in Richtung einer hübschen Frau mitten in der Menge der Pressevertreter. » Die ist super. «
    »Super ist gut. Reiche es allen, die super sind. Großen wie Kleinen. Gib dein Bestes. Und sei nicht geizig. Ich werde dich beobachten. Und wenn du deine Sache gut machst, lege ich noch was obendrauf.«
    »Ich leg los. « Er marschierte mit den Flugblättern in die Menge.
    Anne beobachtete, wie er mit dem Austeilen begann. In den nächsten Minuten sprenkelten leuchtend rote Flecke die Menge und verwandelten sich in ein Mohnblumenfeld. Eine Nachrichtenmoderatorin, orangefarbenes Gesicht dank Fernsehmake-up, nahm sich die Zeit, das Flugblatt zu lesen, und ein Fotograf reichte das Blatt dem Kameramann neben ihm. Reporter steckten die Köpfe zusammen, und Anne schnappte Gesprächsfetzen auf. Alle schienen plötzlich zu reden: »Hältst du das für echt?« »Willst du riskieren, es für unecht zu halten?« »Die New s a t Si x stürzen sich bestimmt darauf, die haben genügend Leute.« »Nicht dieses Wochenende! Ich will um drei zu Hause sein. Mein Kleiner hat ein Spiel. Meine Frau bringt mich um! «
    Hoffnung wallte in Annes Brust auf, und sie wollte de ins Büro zurückkehren, ganz nach Plan. Doch in diesem Moment sah sie ihn.
    Kevin?
    Ihr stockte der Atem. Sie blieb stehen. Ein blonder Mann las mitten in der Menge das Flugblatt, mit gesenktem Kopf. Er sah wie Kevin aus. Seine Haare waren kurz geschoren. Er hatte Kevins Größe, trug ein schlichtes weißes T-Shirt, und

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