Mord mit kleinen Fehlern
seine Schultern waren breit und kraftvoll. Er stand fast genau gegenüber dem Büroeingang, doch etwas an ihm sagte Anne, dass er kein Reporter war, sie wartete, dass er aufblickte, damit sie sein Gesicht sehen konnte, aber in dem Moment, als er es tat, drehte er sich auch schon um. Sie erhaschte nicht mehr als einen kurzen Blick auf seine Gesichtszüge.
Er is t es , e r is t es , e r is t es . Is t e r es?
Plötzlich setzte sich der blonde Mann in Bewegung. Er bahnte sich einen Weg durch die Menschen, ein heller Kopf in einer Menge aus. schwarzen Kameras. Er bewegte sich wie Kevin. Langsam. Mit Bedacht. Immer in Kontrolle. Merkte denn niemand, dass er der Mann von der roten Skizze war? War er der Mann von der Skizze? Anne stellte sich auf Zehenspitzen, beobachtete ihn.
Er entkommt!
Langsam löste er sich von der Menschenansammlung. Mit gleichmäßigen Schritten ging er die Locust nach Osten, in Richtung Broad Street, weg von dem Trubel. Anne konnte den Rest seines Körpers nicht sehen, aber er tat, was Kevin getan hätte, wenn man ihm dieses Flugblatt gereicht hätte. Er zog sich zurück, ohne die. Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Anne war versucht loszubrüllen, aber sie wollte sich nicht zu erkennen geben, nicht mit den ganzen Medienvertretern um sich herum. Sie war sich nicht sicher genug, ob er es wirklich war. Also hielt sie den Mund. Doch gehen lassen konnte sie ihn auch nicht. Sie wusste, was sie zu tun hatte.
Verfolge ihn. Werde zu seinem Stalker.
Anne zog los, heftete sich dem blonden Mann bis zur Broad Street an die Fersen. Hier gab es keine Presse mehr, dafür aber mehr Touristen. Kinder wedelten mit gestärkten amerikanischen Flaggen, Frauen in kolonialer Aufmachung mit winzigen Megafonen führten Touristengruppen an, und Teenager stürmten an ihr vorbei. Anne kam an dem neuen Gebäude für das Philadelphia Orchestra vorbei und machte einen Bogen um Familien, die auf dem Bürgersteig für Schnappschüsse posierten. Ihr Herz jagte. Ihre Augen waren fest auf den blonden Kopf gerichtet, der sich zielstrebig immer weiter nach Osten schob.
An einer roten Ampel an der Ecke Broad und Locust blieb er stehen, und Anne ging schneller, um ihn nicht zu verlieren. Sie hastete auf die Broad zu, und als sie näher kam, trug eine leichte Brise Streicherklänge an ihr Ohr, dazu das Donnern von Kesselpauken. Auf der Broad musste eine Parade unterwegs sein, das hielt den Blonden auf. Sein Rücken war ihr zugekehrt, und Anne erhaschte endlich einen Blick auf seine Statur. Sein Trizeps beulte sich unter dem T-Shirt hervor, und eine tiefe Kerbe lief seinen Rücken hinunter. Er war muskulöser als der Kevin, den sie kannte, aber vielleicht hatte er im Gefängnis .mit Bodybuilding angefangen.
Anne hörte das typische ringa-dsching a einer sommerlichen Clowns-Band, und schon paradierte eine Phalanx aus Harlekins mit orangen, magentafarbenen und schwarzen Pailletten an ihnen vorbei. Die fröhlichen Farben der Kostüme spiegelten sich in der Sonne, und riesige Pfauenfedern erhoben sich von ihren kunstvollen Kopfbedeckungen. Die Menge brach in Applaus aus, bis auf den blonden Mann, der sich an den Rand des Bürgersteigs vordrängte.
Anne zwängte sich zwischen den Menschen hindurch, bis sie in der ersten Reihe stand. Die Musik, das Klatschen und die Jubelrufe wurden lauter, aber Anne klinkte alles aus. Die Band aus Clowns fiedelte ausgelassen, während sie an ihr vorbeimarschierte. Die Menge, als sie endlich die Straße überqueren durfte, drängte nach vorn, angeführt von dem blonden Mann. Er überquerte die Broad Street, dann lief er plötzlich los.
Nein ! »Bitte lassen Sie mich durch. Ich muss hier durch!«, rief Anne und rannte hinter ihm her, wobei sie gegen die Mauer aus Menschen ankämpfte. Alle versuchten, in der Lücke der Parade die Straße zu überqueren, von Westen nach Osten, und von Osten nach Westen, und rempelten sich dabei gegenseitig an. Anne hielt sich wacker auf den Beinen, aber als sie die andere Seite der Broad erreichte, hatte sie ihn aus den Augen verloren.
Nein ! W o is t er? Anne sah sich hektisch um. Menschen strömten auf die Broad, aber sie rannte in die andere Richtung, gegen den Strom. Nur absolute Profis konnten in Blahniks einen Sprint hinlegen, und Anne zählte dazu. Als die Menge immer dichter wurde, sprang sie in die Luft, um ihn über den Köpfen der anderen zu erspähen.
Da! Ihr Herz tat einen Satz, fast zeitgleich mit ihren Füßen. Er war zwei Häuserblocks vor ihr! Jetzt bog
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