Mord nach Drehbuch
streichen, das machte sie am wenigsten gern. In der Regency-Zeit hatte man hohe Decken eingezogen. Rings um die Lampen und an den Bilderleisten entlang waren sie elegant mit Stuck verziert. Diese Arbeit war kein Witz, vor allem wenn man nicht ganz schwindelfrei war. Aber es musste sein, und also kletterte sie die Leiter hinauf. Zwei Stunden und viele Farbkleckser später wurde sie von Lindsey unterbrochen.
»Mutter, hier ist eine Miss Cleveley, die gern mit dir reden möchte.«
Honey schaute Lindsey ein wenig verdattert an.
»Sie sagt, es gehe um eine Privatangelegenheit«, fügte Lindsey hinzu und machte die Tür weit auf.
Eine zierliche Gestalt trippelte ins Zimmer.
»Ich hege die Hoffnung, dass Sie sich meiner noch erinnern.«
Honey schaute von der obersten Sprosse der Leiter hinunter und in das hochgereckte Gesicht der Jane-Austen-Freundin.
Heute trug die kleine alte Dame einen weichfließenden Rock in einem hellen Mauve und dazu Satinschuhe. Ein gestricktes Häubchen und ein damit abgestimmter Umhang aus samtweichem Garn rundeten das Ensemble ab.
»Ich suche meine Nichte. Perdita wollte gestern bei mir übernachten. Ich habe ihrer Mutter versprochen, sie in meinem bescheidenen Heim stets willkommen zu heißen. Ich habe vernommen, dass Sie Detektivin sind.«
Bestens gelaunt kletterte Honey von der Leiter. Konnte es wirklich sein, dass sie hier ihren ersten Fall zu bearbeiten bekam, der weder mit dem Hotelfachverband noch mit der Polizei etwas zu tun hatte? Anscheinend hatte sie sich schon einen gewissen Ruf als Privatdetektivin erworben.
»Ich habe Ihr Bild in der Zeitung gesehen. Mir war nicht klar, dass Sie Detektivin sind, als ich mich neulich auf der Straße wegen meiner ehrenwerten Petition an Sie gewendet habe. Damals erkannte ich in Ihrem Ebenbild die Integrität einer ehrenwerten Frau reiferen Alters.«
»Ach ja«, antwortete Honey, deren Lächeln inzwischen ein wenig gezwungen wirkte. Sie überlegte sich, dass sie vielleicht einmal mit dem Zeitungsfotografen sprechen sollte. Hatte er noch nie was von Retouchieren gehört? »Nun«, meinte sie. »Dann wollen wir einmal über Ihr Problem sprechen, vielleicht bei einer Tasse Tee?«
»Tee? Nein, ich ziehe Schokolade vor«, antwortete Miss Cleveley und rümpfte ihre kecke, wenn auch ein wenig von einer Erkältung entzündete Nase.
Lindsey, die liebe, gute, hatte die Situation genau richtig eingeschätzt.
»Ich dachte, Sie würden vielleicht einer Tasse Schokoladeden Vorzug geben«, sagte sie und lächelte die alte Dame an. »Wie Jane Austen.«
Miss Cleveley strahlte dankbar zurück. Lindsey verschwand wieder.
»Gut«, sagte Honey. »Jetzt, da wir allein sind, möchten Sie mir nicht genauer erklären, warum Sie gekommen sind?«
»Perdita!« Spinnenfinger, die halb in Spitzenhandschuhen steckten, wühlten in einem bestickten Retikül, an dem unten sogar eine Quaste in einem verblassten Rosaton baumelte. Miss Cleveley reichte Honey zwei Fotografien. Die erste war ein Porträt, auf dem nur der Kopf zu sehen war.
»Meine Nichte Perdita Moody.«
Honey betrachtete das Bild.
Perdita hatte eher ein nettes als ein hübsches Gesicht. Honeys Augen wurden wie magisch von ihrem Lächeln angezogen. Es wirkte ein wenig erstarrt, so als bemühte sich hier jemand zu sehr. Als hätte der Fotograf einen gerade gebeten, »Cheese« zusagen, während man dazu keine Lust hatte oder Zahnweh oder sonst was.
Das zweite Foto zeigte eine große, ein wenig ungelenke junge Frau, die an einem Geländer lehnte, hinter dem man einen Blick auf einen verlassenen Strand und weit weg auf das Meer hatte. Auch hier sah man nicht die ganze Person. Der Fotograf hatte die Füße abgeschnitten. Nicht besonders professionell, überlegte Honey, und fragte sich, ob vielleicht Miss Cleveley das Bild gemacht hatte.
»Lebt sie allein?«, erkundigte sich Honey.
»Sie hat eine Wohnung in Clevedon.«
»Aha.«
Clevedon lag nur etwa 90 Kilometer von Bath entfernt an der Westküste. Es war ein ruhiger Ort mit Häusern aus der Regency-Zeit und aus der viktorianischen Ära, die alle Meerblick hatten.
»Und sie ist nicht dorthin zurückgefahren?«
Miss Cleveley schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe bei ihrem Vermieter nachgefragt. Man hat sie dort seit dem Tagnicht mehr gesehen, an dem sie abgereist ist, um an diesem Film mitzuarbeiten.«
Plötzlich umklammerten dünne Finger Honeys Handgelenk. Miss Clevely schaute sie mit funkelnden Augen an. »Ich habe den Eindruck, meine liebe Mrs
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