Mord nach Drehbuch
Driver, dass ich mich geirrt habe, als ich jenen Leuten lediglich vorwarf, die großen Werke Jane Austens zu verunglimpfen. Nun fürchte ich, dass es hier um sehr viel finsterere Machenschaften gehen könnte«, flüsterte sie.
Wie kalt ihre Finger sind, überlegte Honey, wie fest ihr Griff.
»Was für finstere Machenschaften mögen das denn sein?«, erkundigte sich Honey, während sie verzweifelt versuchte, den Klammergriff der knochigen Hand zu lösen und ihren Blutkreislauf wieder in Gang zu bringen.
»Sklavenhändler!«, rief Miss Cleveley. »Die liebe, unschuldige Perdita ist entführt und in den Harem irgendeines fernöstlichen Potentaten verschleppt worden! Können Sie sich das vorstellen? Das liebe, nette Mädchen, auf Gedeih und Verderb einem lüsternen Barbaren ausgeliefert, der ihr die bisher unbefleckte Jungfernschaft zu rauben beabsichtigt.«
Honey blickte in ein ernstes Gesicht. Ihr war inzwischen klar, dass Miss Cleveley nicht nur im Universum Jane Austens zu leben vermeinte, sondern dass sie eindeutig viel zu viele romantische und – ja, man wagte es kaum zu denken – erotische Romane gelesen und in ihr Weltbild integriert hatte.
Aber das konnte sie ihr natürlich nicht sagen. Die alte Dame schaute sie aufrichtig und ernsthaft an und war ehrlich besorgt. Und wer weiß, ob sie selbst sich im Alter nicht auch in eine Phantasiewelt zurückziehen würde, überlegte Honey. Da wäre ich sicherlich in bester Gesellschaft. Mary Jane jedenfalls lebte schon dort.
Honey lächelte und bog die Finger auf, die ihre Blutzufuhr zu den Händen bedrohten.
»Also, sie ist nicht nach Hause gekommen. Weder Freunde noch Familie haben sie gesehen?«
Miss Cleveley nickte sittsam. Es war ein Nicken, wie es in historischen Romanen beschrieben wurde, besonders in denen aus der Regency-Zeit. »Seien Sie versichert, meine liebe Mrs Driver, ich habe Erkundungen bei allen angestrengt, die sich meines Wissens in ihren gesellschaftlichen Kreisen bewegen, und natürlich auch bei ihrer Familie nachgefragt. Ich muss wohl nicht betonen, dass ihre Mutter außer sich vor Sorgen ist? Meine geliebte Schwester hat ein außerordentlich schwaches Nervenkostüm. Sie ist stets verzweifelt unruhig, wenn sie einmal den Aufenthaltsort ihres Kindes nicht kennt.«
Miss Cleveley beugte sich vor, um Honey weitere Perlen der Information zukommen zu lassen. Honey verbarg vorsichtshalber die Hände hinter dem Rücken.
Das Weiße im Auge der alten Dame war blutunterlaufen und wirkte ziemlich furchterregend.
»Sehen Sie sich vor, wenn Sie Ihre Erkundungen anstellen, meine liebe Mrs Driver. Sie sind zwar der Altersgruppe entwachsen, für die sich Sklavenhändler interessieren, möchte ich meinen. Aber man weiß ja nie. Männer haben seltsame Vorlieben, nicht wahr.«
Na, großartig! Jetzt war sie also jenseits von Gut und Böse, was sexuelle Ausstrahlung anging, und wenn einer sich schon für sie interessierte, dann nur, weil er wirklich pervers war.
»Ich werde mir alle Mühe geben, Ihre Nichte zu finden, Miss Cleveley.«
Was sage ich da bloß?
Es gab nicht einmal einen Beweis dafür, dass Perdita wirklich verschwunden war. Unter Umständen war die junge Frau ja nur eine Ausgeburt von Miss Cleveleys zweifellos sehr lebhafter Phantasie.
Die kleine, zarte Dame trank ihre Schokolade aus und verstaute noch ein paar Kekse in ihrem Retikül, ehe sie sich verabschiedete.
»Für die Tauben«, erklärte sie mit gewinnendem Lächeln.
»Aber natürlich«, erwiderte Honey und lächelte zurück. Sie war sich sicher, dass diese Kekse später von Miss Cleveley höchstpersönlich verzehrt würden.
Nachdem sie Honey gedrängte hatte, die Fotos zu behalten, schwebte die alte Dame aus dem Zimmer, eine leicht komische Gestalt in Musselin und alter Spitze.
Honey sah sich gerade noch einmal die Bilder an, als Lindsey kam, um das Tablett wieder abzuholen.
Sie ließ sich in den Sessel fallen, den Miss Clevely gerade eben freigemacht hatte. »Meine Füße bringen mich um.« Sie schnaufte laut. »Was wollte das alte Mädel denn?«
»Ihre Nichte finden. Sie glaubt, dass sie vielleicht von Sklavenhändlern verschleppt wurde. Was meinst du?«
Lindsey musterte die Fotos.
»Die sind beinahe richtig gut«, meinte sie.
Honey erwiderte fragend: »Findest du wirklich? Ich war mir nicht so sicher.«
»Das Porträt ist besser als das Bild von der ganzen Person.«
»Das finde ich auch. Da hat sie keine Füße.«
»Oder Hände, sieh mal.«
Honey schaute hin. Perdita
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