Mord nach Liste
mit ihr auszukommen. Da musste etwas passieren, und zwar bald. Bis zehn zählen und an was Schönes denken, sagte Regan sich. Etwas Positives.
Sie verließ das Hotel. Sofort fiel ihr auf, wie schön und klar der Tag war. Der graue Nebel, der über der Stadt gehangen hatte, löste sich bereits auf, die Sonne schien hell. Der Himmel war azurblau. Aus riesigen irdenen Töpfen entlang der Straße sprossen Frühlingsblumen. Regan atmete tief durch und musste prompt niesen. Die Pollenkonzentration konnte heute nicht allzu hoch sein: Ihre Augen brannten nicht und sie nieste nur sechs- oder siebenmal.
Regans Laune besserte sich. Sie ließ sich nicht unterkriegen. Immer den Kopf hochhalten, sagte sie sich.
Dann entdeckte sie den ersten Lustmolch des Tages. An der Ecke Michigan und Superior Street wartete Regan, dass die Ampel auf Grün umsprang. Ein Mann im fortgeschrittenen Alter befummelte eine kleine Rothaarige, die Regan auf rund achtzehn schätzte. Es schien ihm gleichgültig zu sein, wie viele Leute ihn beobachteten. Die dumme Gans sonnte sich in der Aufmerksamkeit, die sie auf sich zog. Ihr schrilles Lachen hätte Glas zerspringen lassen können. Regan umklammerte den Lederriemen ihrer Handtasche, schritt an dem liebestollen Pärchen vorbei und verkniff sich eine spitze Bemerkung.
Vor Neiman Marcus lief ihr das nächste Pärchen mit dramatischem Altersunterschied über den Weg, und als Regan schließlich im Restaurant eintraf, war ihre Laune auf einem neuen Tiefpunkt.
Heute hatte Kevin Schicht. Der groß gewachsene Zwanzigjährige war so schlaksig und dünn, dass es wehtat, ihn anzusehen. Er hatte kurzes schwarzes Haar und asiatisch anmutende Augen. Kevin war Henrys bester Freund. Als Regan ihn lächeln sah, besserte sich ihre Laune schlagartig.
»Du siehst heute echt super aus, Regan«, meinte er, nachdem er sie von oben bis unten gemustert hatte. »Dieses maßgeschneiderte Kostüm betont deine …«
Sie hob die Augenbraue. »Meine was?«
»Figur«, flüsterte er und besaß den Anstand, rot zu werden. Bevor Regan etwas erwidern konnte, beugte er sich über den Tresen, um einen Blick auf ihre Schuhe zu erhaschen. »Hey, sind die von Jimmy Choo?«
Sie lachte. »Woher kennst du Jimmy Choo?«
»Kennen ist zu viel gesagt«, gab er zu. »Aber meine Freundin ist ganz verrückt danach, und du bist doch immer so elegant gekleidet und so, da dachte ich, du hättest bestimmt mehrere hundert Paar davon.«
»Nein, Kevin, ich habe von gar nichts mehrere hundert Paar, und die sind auch nicht von Jimmy Choo. Hast du einen neuen Ohrring?«
Er nickte. »Carrie hat ihn mir zum Halbjährigen geschenkt. Mein Vater findet’s schrecklich, aber er hat sich so über meine Noten gefreut, dass er keine große Sache draus macht. Carrie will Henry auch zu einem Ohrring überreden.«
Mr Laggia, der Inhaber, steuerte auf die beiden zu. »Oje«, flüsterte Kevin. »Laggia ist im Anmarsch. Sag ihm auf jeden Fall, wie toll die Farne sind. Er ist völlig besessen davon.«
Regan lächelte den Inhaber an. »Ich find’s toll, was Sie aus dem Restaurant gemacht haben, Mr Laggia. Die Farne sind wunderschön.«
Der Inhaber strahlte vor Freude. »Sind die Ihnen aufgefallen?«
Die Pflanzen waren nicht zu übersehen, sie standen praktisch überall. »Ja, sicher«, antwortete Regan.
»Finden Sie nicht, dass es wie im Dschungel aussieht?«
»Nein, nein, überhaupt nicht.«
Die Einrichtung des Restaurants erinnerte tatsächlich entfernt an einen Urwald, aber es war dezent gemacht. Die Farne zwischen den Sitzecken vermittelten den Gästen das Gefühl, unter sich zu sein.
»Wie viele seid ihr heute?«, fragte Kevin.
»Drei«, antwortete Regan. »Sophie hat für halb eins reserviert. Ich bin ein bisschen zu früh.«
»Bring sie zu Tisch vier«, sagte Laggia. »Ich habe dort gerade ein paar Gummibäume hingestellt. Die sind ziemlich widerstandsfähig.«
Hinter seinem untersetzten Chef verdrehte Kevin die Augen und grinste. Er führte Regan zu einer Sitzecke, die vollständig von Gummibäumen, Palmen und Farnen umstanden war. Cordie und Sophie kamen zu spät. Regan nippte an einer Sprite und hoffte, ihr Magen würde sich beruhigen. Als sie sich langsam entspannte, betrat eines dieser ekelerregenden Pärchen das Restaurant. Regan versuchte, sich zusammenzureißen. Vielleicht war der grauhaarige Mann ja der Vater oder Großvater des Mädchens. Als Kevin die beiden an Regan vorbeiführte, sah sie, dass die Hand des Alten über den Rücken des
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