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Mord ohne Leiche

Mord ohne Leiche

Titel: Mord ohne Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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nicht.«
    »Was ist mit Jay? Ist er auch...?«
    »Wahrscheinlich.«
    Sie legte die Hand an die Stirn und
schloß die Augen. »Armer Mann. Ich werde für ihn beten.« Als sie die Hand
fallen ließ, sah sie alt und müde aus, als hätte diese weitere Tragödie die
Bürde, an der sie schleppte, untragbar gemacht.
    Ich hätte ihr gern etwas Ermutigendes
zum Fall ihres Sohnes gesagt, doch im Augenblick fiel mir nichts Vernünftiges
ein. Zudem war mein Hauptverdächtiger wahrscheinlich tot, und ich hatte meine
Zweifel, ob Kathy ihre Komplizenschaft jemals zugeben würde. Statt dessen
tätschelte ich Leoras Arm, bedankte mich und sagte, ich würde später wieder
anrufen und mich nach Kathy erkundigen. Doch auf halbem Weg zur Tür fiel mir
etwas ein, das ich sie fragen mußte.
    »Leora«, sagte ich, »hat sich Jay lange
hier aufgehalten, bevor er neulich Tracy Kostakos’ Zahnbefunde nach Napa County
gebracht hat?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Überhaupt
nicht. Er hat angerufen und mich gebeten, die Akte herauszusuchen und in einen
Umschlag zu stecken. Als er vorbeikam, ließ er seinen Wagen in der weißen Zone
stehen, kam hereingerannt und hat ihn sich geschnappt.«
    Natürlich mußte das gar nichts
bedeuten. Wahrscheinlich hatte er die Röntgenbilder längst vorher vertauscht,
für den Fall, daß die Leiche eines Tages entdeckt würde. Und doch...
    Ich sagte zu Leora: »Sie erwähnten, daß
Kathy am Neujahrstag hier war und nach ihm gesucht hat.«
    »Das stimmt.«
    »Sagte sie, warum sie annahm, er sei
hier?«
    »Nein, sie wollte ihm nur die Neuigkeit
über die kleine Kostakos persönlich überbringen.«
    »Und Tracys zahnärztliche Unterlagen?
Hat sie erwähnt, daß der Sheriff von Napa sie brauchte?«
    Leora runzelte die Stirn. »Ja, stimmt.
Wissen Sie, sie hat sogar angeboten, sie selbst hinzubringen, weil die
Nachricht Jay wohl aus der Fassung bringen würde und er damit nichts würde zu
tun haben wollen. Ich sagte ihr, ich könnte sie nur mit seiner Genehmigung
herausgeben.«
    »Was hat sie dann getan?«
    »...Ich weiß nicht genau. Wir hatten
einen Patienten mit einem Messerstich — Familienstreit, was sonst? — , und der
blutete hier alles voll. Es gab auch noch andere Notfälle. Irgendwie habe ich
sie aus den Augen verloren.«
    »Ist es möglich, daß Kathy an die
Patientenkartei kommen konnte, ohne daß Sie es bemerkt hätten?«
    »Das ist möglich. Und sie hätte genug
Zeit dazu gehabt, denn ich sah sie erst nach über einer Viertelstunde gehen.
Doch warum sollte sie...?«
    Ja, warum? Das machte, wie so viele
Dinge in diesem Fall, überhaupt keinen Sinn.
     
     
     

25
     
    Auf der Fahrt nach Bernal Heights
schaltete ich wieder den KSUN ein, um zu hören, ob es Neues über den Brand gab.
Der Sender brachte gerade Nachrichten. Das Feuer, sagte der Sprecher, sei jetzt
unter Kontrolle. Wenigstens fünf Menschen seien ums Leben gekommen, und die
Schäden gingen in die Millionen. Nach den Nachrichten war der Diskjockey für
das Programm von Mitternacht bis sechs an der Reihe. Ich sah auf die Uhr und
stellte überrascht fest, daß es zehn nach zwölf war.
    Ich schaltete das Radio aus und fuhr
still weiter, zutiefst entmutigt und traurig. Vor der Tragödie von heute abend
verblaßte mein bisheriges Gefühl für die Dringlichkeit des Falles. Ich wußte,
wenn Larkey tot war, war es durchaus möglich, daß ich nie genau erfahren würde,
was in der Nacht passiert war, als Tracy starb. Aber irgendwie machte mir das
auch nichts aus.
    Um die Wahrheit zu sagen, war ich den
Fall leid. Was als eine notwendige Erforschung der Vergangenheit begonnen
hatte, war nun zu einem mühsamen Durchsieben von schmutzigen und bedrückenden
Fakten geworden. Ich war es leid, im Leben einer jungen Frau herumzugraben,
deren Hauptbeschäftigung gewesen war, sich das, was sie haben wollte, auf
Kosten anderer zu nehmen. Ich war Leute wie Amy Barbour und Marc Emmons leid,
die sich schäbig verhielten und sich dann zu rechtfertigen versuchten, sogar
vor sich selbst. Leute, die alle Welt ausnutzten, hatten mich schon immer
angewidert, aber noch nie so sehr wie heute nacht. Ich hatte für fast alle, die
in meine Ermittlungen verwickelt waren, die Sympathie verloren.
    Als ich in der Nähe unserer Kooperative
einen Parkplatz suchte, fragte ich mich, wie es zu diesem Verlust an Mitgefühl
gekommen war: Zeigte er möglicherweise noch Schlimmeres an? Sollte ich etwa
mein Einfühlungsvermögen verlieren? Und damit jene mir oft bestätigte
Fähigkeit, daß

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