Mord ohne Leiche
Luft und versuchte,
meinen Ärger nicht durchklingen zu lassen. »Okay, sagen Sie mir, was er Ihnen
erzählt hat.«
Sie hob den Kopf und sah sich um. »Ob
ich wohl einen Drink haben könnte? Vielleicht einen Schluck Wein?«
Ich unterdrückte den Wunsch, sie bei
den Schultern zu packen und durchzuschütteln und ging auf die Suche. Unter der
Spüle stand ein Krug mit einem bedrohlich billigen Roten, den unser
Gesundheitsapostel offenbar übersehen hatte. Ich betrachtete ihn zweifelnd,
zuckte mit den Schultern und goß ein Glas ein. Als ich zum Tisch zurückkam,
griff sie gierig danach.
»Okay«, sagte sie nach einem kräftigen
Schluck, »ich erzähle Ihnen, was Marc mir erzählt hat. Ungefähr zwei Wochen vor
ihrem Tod fand Tracy etwas wirklich Schlimmes über jemanden im Club heraus. Sie
war ganz aufgeregt und wußte nicht, was sie tun sollte. Sie nannte es ein ›moralisches
Dilemma‹. Sah Trace ähnlich, daß sie daraus eine große Geschichte machte. Mir
hat sie jedenfalls nichts davon gesagt. Sie wollte nicht. Aber Marc hat sie es
erzählt. Und er hat gesagt, sie soll es gleich vergessen.«
»Und Sie haben keine Vorstellung, worum
es sich handelte? Oder wie sie es herausbekommen hat?«
»Nein. Nur, daß es schlimm war. Es ist
ihr wirklich an die Nieren gegangen. Sie wurde es nicht los. Und Marc... Also,
es klingt schrecklich, aber er sah darin einen Vorteil für sich.«
»Wie meinen Sie das?«
Sie senkte den Kopf und sagte mit
leiser Stimme: »Er ging zu der Person, die damit zu tun hatte, und erzählte es
ihr. Er versprach, Trace daran zu hindern, irgend etwas in dieser Sache zu
unternehmen.«
»Im Tausch wogegen?«
Sie sah schnell auf. Ihre Augen waren
feucht. Man sah, daß sie leugnen wollte, was auf der Hand lag, und wußte, daß
es nicht ging. »Vielleicht Geld. Ich weiß nicht«, sagte sie kläglich.
»Und weiter?«
»Also, er hatte sie ziemlich überzeugt.
Aber dann, in der Nacht, als Trace verschwand, ist sie zu Marc gefahren. Sie
war sehr erregt. Im Club sei etwas Furchtbares passiert. Sie sagte, zuerst
hätte sie zum Fluß hinausfahren wollen, um alles in Ruhe zu durchdenken. Aber
dann sei ihr klargeworden, daß sie die Situation vielleicht retten könnte — ja,
›die Situation retten‹, das waren genau ihre Worte — , und zwar dadurch, daß
sie ihre Information nutzte. Mehrere Stunden lang hat Marc versucht, es ihr
auszureden, und sie hat ihm schließlich versprochen, einen Tag oder so am Fluß
darüber nachzudenken, bevor sie etwas unternähme. Doch er wußte bereits, wozu
sie sich entschlossen hatte. Dann ist sie gegangen, und er hat sie nie wieder
gesehen.«
Und er hatte zugelassen, daß Bobby
Foster zum Tode verurteilt wurde, hatte geschwiegen und seinen Profit
eingestrichen. Fluch über alle Marc Emmons dieser Welt!
»Und das ist alles?« fragte ich scharf.
Amy leckte sich die trockenen Lippen
und trank noch einen Schluck Wein. »Nicht ganz. Jetzt kommt der schlimme Teil.
Deswegen fühlt sich Marc für ihren Tod verantwortlich. Nachdem sie seine
Wohnung verlassen hatte, führte er ein Telefongespräch.«
»Mit wem?«
»Mit der Person, über die Trace etwas
wußte.«
»Hat er dieser Person gesagt, wohin sie
gefahren war?«
»Ich nehme an. Er hat es nicht gesagt.«
Ihr Gesichtsausdruck bestätigte die Vermutung.
»Dieser Schweinehund hat Tracys Leben
für Geld verkauft.«
Jetzt sah Amy mich angstvoll an. »Das
hätte er nie getan!«
Stimmt, dachte ich. Ich bemühte mich,
die Stimme nicht zu erheben, und fragte: »Haben Sie eine Idee, wer diese Person
ist?«
»Nein.«
»Nicht einmal, ob es ein Mann war oder
eine Frau?«
Sie schüttelte den Kopf.
Da hatte ich es also: das Motiv,
stärker als jeder männliche Stolz oder Zorn. Das hatte ich gebraucht, damit mein
Szenario stimmte und Jay Larkey der Mörder von Tracy war. Sie war auf etwas
gestoßen, das ihn ruinieren würde — möglicherweise in der Ausgabe der L. A.
Times, die Jane Stein am Flughafen bei sich hatte — , und hatte
beschlossen, ihn damit zu erpressen.
Erpressung, dachte ich. Ein
abscheuliches und dummes Verbrechen.
Tracy hatte schon früher schlimme
Seiten gezeigt, aber das waren eher harmlose Varianten dazu, nichts, was man
wirklich abscheulich nennen konnte. Und sie war auch nicht dumm. Dafür aber
jung, und in dem Alter machte man dumme Sachen. Man hält sich für ungeheuer
wichtig und für unbesiegbar. Man ist sicher, daß die eigene, großen Teils noch
gar nicht ausprobierte Intelligenz es mit den
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