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Mord ohne Leiche

Mord ohne Leiche

Titel: Mord ohne Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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ihren Augen war spürbar gegenwärtig. Und fast hätte ich den Kopf
gedreht, um nachzusehen, was oder wer dort hinter mir stand. Doch das mußte ich
nicht. Ich wußte es.
    Es war das gestaltlose Grauen — jene
Chimäre, die, hat man sie einmal flüchtig erblickt, für immer unverrückbar in
jedem Schatten lauert.

5
     
    Ein eisiger Wind fegte durch die Upper
Market Street. Er wirbelte Abfall die Rinnsteine entlang und klebte die Seiten
zerfledderter Zeitungen an die Gitterstangen, die den rechten Gehsteig
begrenzten. Jenseits des Gitters fiel der Hügel steil ab. Die Lichter unten in
der Ebene verschwammen im Nebel, und das sonst glitzernde Panorama der Bay
Bridge und der East Bay war kaum zu erkennen.
    Der bergab fahrende Verkehr rauschte an
mir vorbei. Das Scheinwerferlicht der Autos huschte über mich hinweg und ihre
Rücklichter verschwanden hinter einer scharfen Kurve. Die Hände tief in den
Taschen meiner Seemannsjacke vergraben, mußte ich mich gegen den launenhaften
Wind anstemmen, um vorwärtszukommen. Parkplätze waren im übervölkerten Ostteil
von Twin Peaks Mangelware, und so hatte ich meinen MG einen ganzen langen Block
von Tracy Kostakos früherer Wohnung entfernt abstellen müssen.
    Die Reihe der Apartmenthäuser, die am
unteren Teil des Hügels klebten, begann ungefähr hundert Meter von der Stelle
entfernt, wo ich geparkt hatte. Als ich ihren Schutz erreichte, blies der Wind
nicht mehr so scharf. Auf der anderen Seite schlängelten sich die Häuserreihen
in engen, terrassenförmig verlaufenden Straßen hinauf bis zum Sendeturm und zum
Aussichtspunkt auf dem dritt- und vierthöchsten von San Franciscos
dreiundvierzig Hügeln.
    Die Architektur in Twin Peaks besteht
aus diesen modernen, kaninchenstallähnlichen Mietskasernen. Lauter
briefmarkengroße Balkone, die wegen des Windes nur selten benutzt wurden;
Panoramafenster, die einen großartigen Ausblick bieten und den Bewohnern hohe
Heizungsrechnungen bescheren; dünne Standard wände und kühles Dekor; zu wenig
Garagen und zu viele Autos. Wäre nicht der Blick, hätte diese Gegend
wahrscheinlich das gleiche Schicksal ereilt wie viele Jahre zuvor den
»gefragten« Teil von East Palo Alto, aber die Aussicht sorgte dafür, daß die
Apartments bewohnt und die Mieten teuer blieben.
    Als ich rasch bergab ging, fiel mir
ein, daß natürlich nicht alle Häuser in Twin Peaks geschmacklos und überteuert
waren. Mein verflossener Liebhaber Greg Marcus besaß ein geschmackvolles
kleines Haus neben ein paar Rotholzbäumen in einer Sackgasse, die vom Parkridge
Drive abging. Vielleicht sollte ich nach dem Gespräch mit Amy Barbour dort
vorbeifahren und Greg überreden, mich morgen einen Blick in die Kostakos-Akten
werfen zu lassen. Dann bräuchte ich damit nicht bis nächste Woche zu warten...
    Nein, die Idee war nicht gut. Sie
konnte zu allen möglichen Komplikationen führen. Es war besser, zu warten und
ihn sich auf der Silvesterparty zu schnappen.
    Das dreistöckige Haus, in dem Tracy
früher gewohnt hatte, besaß eine Backsteinfassade mit Feuertreppe. Aus einem
Pflanzbereich am Bürgersteig wuchs eine Platane. Am Rand des beleuchteten Zugangs
standen drei Briefkästen, und ein eisernes Sicherheitstor versperrte den
eigentlichen Eingang. Hinter dem Tor befand sich die Tür zur Erdgeschoßwohnung.
Zu den anderen Apartments führten Treppen aus künstlichem Marmor. Ich sah mir
die Namen an den Briefkästen an. Am zweiten fand ich eines dieser
Plastikschilder, wie man sie sich mit so einem Prägeding selber machen kann.
Darauf stand: BARBOUR/KOSTAKOS. Als ich auf die Klingel drückte, fragte ich
mich, ob die Zimmergenossin Tracys Namen stehengelassen hatte oder ob die
Mutter, die ja noch die halbe Miete zahlte, darauf bestanden hatte.
    Es gab keine Sprechanlage, aber Amy
Barbour erwartete mich — das hatte Rae mir versichert, als ich vor meinem
Aufbruch von Palo Alto noch bei ihr rückgefragt hatte. Also griff ich nach dem
Tor. Kurz darauf ließ der Summer das Schloß aufspringen, und ich trat in die
Vorhalle. Geräuschvoll schlug das Tor hinter mir zu. Der Verkehrslärm war so
groß, daß ich kaum das »Hallo« vom Treppenabsatz über mir hörte.
    »Miss Barbour?«
    »Kommen Sie herauf.«
    Die junge Frau auf dem Absatz im ersten
Stock hatte dunkelrotes Haar, ein Gesicht mit eckigen Backenknochen und einer
kurzen Stupsnase. Ihre Frisur sah aus wie ein herausgewachsener, stacheliger
Punkerhaarschnitt. Die Haare hingen in kleinen Büscheln herunter, die mich

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