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Mord ohne Leiche

Mord ohne Leiche

Titel: Mord ohne Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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so ließ er
meine Hand los und stand rasch auf. »Ich rufe meinen Kollegen an. Achtest du
auf den Boten mit der Pizza?«
    Ich blieb am Küchentisch sitzen, nippte
trübsinnig an meinem Wein und starrte einen großen Bund roter Pfefferschoten
an, der an einem schwarzen, eisernen Topfständer hing. Seltsam widersprüchliche
Gefühle stiegen in mir auf. Einerseits wollte ich George für mich selbst.
Andrerseits wollte ich, daß er für Laura etwas tat, das ihr half. In der
letzten Nacht hatte ich in ihm nicht den Mann gesehen, der noch verheiratet war
mit einer ziemlich verwirrten Frau. Heute abend dagegen konnte ich ihn nur so
sehen. Vielleicht wurde aus dieser Beziehung mehr, als ich mir eigentlich
zumuten wollte —
    Es läutete an der Tür. Ich griff nach
dem Geld, das er auf den Tisch gelegt hatte, und ging hinunter, um dem Boten
von Domino’s zu öffnen.
     
    Den restlichen Abend verbrachten wir in
stillschweigender Übereinkunft, weder über seine Frau noch über meine
Ermittlungen zu sprechen. Nach dem Essen machten wir Feuer im Kamin und
breiteten Kissen und Decken auf dem Boden davor aus, statt uns in die bequemen
Sessel fallen zu lassen. Eine Zeitlang starrten wir in die Flammen und
tauschten alte Geschichten und kleine Geheimnisse aus. Das ist der Mörtel, der
die Bausteine unseres körperlichen Verlangens und unserer flüchtigen Gefühle zu
dem zusammenfügt, was als Ganzes viel stärker ist als jedes einzelne für sich.
    Ich erfuhr, daß George immer in Palo
Alto gelebt hatte, bis auf die Jahre am Harvard-College und nach seinem Examen
an der Universität von Michigan. Daß er dem Familienunternehmen — Ölförderung
und Ölbohrungen — den Bücken gekehrt und die akademische Laufbahn eingeschlagen
hatte. Seinem Vater hatte er sich damit entfremdet. Er lernte Laura kennen und
heiratete sie. Auch sie setzte ihr Universitätsstudium fort, und zwar in Ann
Arbor. Im Gegensatz zu vielen Akademiker-Paaren gelang es ihnen beiden, sich
einen Platz in Stanford zu sichern. Nach Tracys Geburt versöhnte sich sein
Vater mit ihm, und nach seinem Tod vor gut zwölf Jahren erbte er ein kleines
Vermögen.
    »Aber das Geld hat nichts verändert«,
sagte er. »Es war ganz nett, es zu haben, und wir haben gut gelebt, aber es hat
eben... nichts verändert.«
    »Wie meinst du das?«
    »Es ging alles so weiter, wie bisher.
Das Leben wurde zu vorhersehbarer Routine, ein Tag, ein Monat, ein Jahr wie das
andere — wie es eben geht, wenn man eine Karriere aufbaut und ein Kind
großzieht. Es war nicht unangenehm, aber...« Er fiel in Schweigen und sah für
einen Augenblick ins Feuer.
    »Weißt du«, fuhr er fort, »es gibt eine
ganze Phase in meinem Leben, die ist grau. Ich kann mich einfach nicht an sie
erinnern. Kleine Dinge ragen heraus: ein nettes Weihnachtsfest, Tracys
High-School-Abschluß, ein schöner Urlaub. Aber es ist, als hätte sie jemand
anders erlebt und sie mir weitererzählt. Woran ich mich tatsächlich erinnere,
das sind Dinge aus der ersten Zeit: Wintermorgen in Cambridge, so kalt, daß du
dich beim Anziehen nur Zentimeter von deinem elektrischen Heizgerät entferntest
und auf Eis und Schnee buchstäblich in den Hörsaal schlittertest; Herbsttage in
Ann Arbor, an denen das ganze Tal des Huron River unter einem Dunstschleier lag
und der aber der herbstlichen Farbenpracht nichts anhaben konnte; ein
besonderer Abend mit Laura kurz nach unserem Umzug nach Palo Alto, als wir in
Stanford kurz nach einem Regenschauer durch ein Eukalyptuswäldchen liefen und
von seinem Duft schier überwältigt waren, während es von den Bäumen auf uns
herabtropfte. Lange Zeit habe ich geglaubt, daß mein wahres Leben aus diesen
wenigen Momenten bestand und daß ich mehr nicht zu erwarten hatte.«
    »Und dann?«
    »Dann ist Tracy verschwunden. Es war
ein brennender Schmerz, aber er hat mich da herausgeholt. Zu meiner
Überraschung war das, was nun kam, nicht nur schlimm. Zumindest lebte ich
wieder. Zumindest fühlte ich etwas.«
    Er wandte sich zu mir, nahm mein
Gesicht in beide Hände, und Reden wurde überflüssig. Körperliche Liebe schien
katalytisch auf Georges Kummer und Schmerz zu wirken und beides in eine Kraft
zu verwandeln, die alles hinwegschwemmte, was ich an Schuldgefühlen und Distanz
empfunden hatte. Danach war mir, als schwebte ich, warm und zufrieden und
vollkommen sicher, wie betäubt von den angenehmsten Empfindungen, schwerelos im
Raum.
    Kurz nach Mitternacht läutete das
Telefon. George nahm den Hörer in der

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