Mord ohne Leiche
auf dem Weg nach New York bin. Bis zum Anschlußflug ist immer Zeit
genug für ein paar Gespräche, und ich erspare mir so eine Extrareise nach
Norden.« Sie lächelte. »Meine Klienten hier sind größtenteils mit ihrer
Karriere noch nicht so weit, daß sie sich ohne weiteres einen Flug zu mir
hinunter leisten können. Wie dem auch sei, ich hatte Tracy zuvor nur zweimal
getroffen — einmal habe ich sie mir im Café Comédie auf der Bühne angesehen und
dann auf einem Trip mit Jay nach L. A.«
Sie wußten, daß die beiden ein
Verhältnis hatten?«
»Oh, ja. Jay machte kein Geheimnis
daraus. Er war stolz darauf, wissen Sie. Er hatte gerade ein paar harte Jahre
hinter sich: Beruflich hatte er Rückschläge erlebt, dazu spürbare finanzielle
Verluste. Er brauchte für sein Leben eine hübsche junge Frau wie Tracy, so, wie
sie ihn brauchte.« Sie schüttelte den Kopf. »Was er bestimmt nicht gebraucht
hatte, war, sie auf diese Weise zu verlieren.«
»Warum haben Sie sich das letztemal mit
Tracy getroffen?«
»Sie hatte mich angerufen und gesagt,
sie müsse mich sprechen. Anscheinend wollte sie weg von San Francisco und
hoffte, ich könnte sie in einem Club in L. A. unterbringen. Ich hatte den
Eindruck, in ihrem Privatleben lief einiges schief. Vielleicht war sie Jay
leid, oder es gab jemand anderen, den sie loswerden wollte. Jedenfalls sagte
sie, sie brauche eine Veränderung. Ich machte sie darauf aufmerksam, daß sie
gerade erst einen sehr lukrativen Vertrag mit Jay abgeschlossen hatte. Ich
bezweifelte, daß er sie da herauslassen würde, und ich fand es nicht anständig,
daß sie vorhatte, womöglich vertragsbrüchig zu werden.«
»Wie hat sie darauf reagiert?«
»Gereizt — aber das bin ich bei meinen
Klienten gewöhnt. Wir haben auch über die Möglichkeit gesprochen, für den Film
oder fürs Fernsehen zu arbeiten. Ich war der Meinung, daß sie für beides noch
nicht reif war, und riet ihr zur Geduld. Sie zeigte mir einen neuen Sketch, an
dem sie gerade arbeitete, und ich hatte das Gefühl, daraus könnte mit einiger
Übung und Weiterentwicklung etwas Gutes werden.«
»Worum ging es?«
Jane Stein winkte nach einem weiteren
Kaffee. »Um sehr viel Improvisation. Sie wollte eine Tageszeitung nehmen, aufs
Geratewohl einen Artikel in der Unterhaltungsbeilage aufschlagen — oder
jemanden aus dem Publikum darum bitten — und daraus dann eine Nummer machen.
Das hatten andere vor ihr auch schon gemacht, aber man muß wirklich gut sein,
um das zu schaffen. Ich glaube, sie hatte das Zeug dazu.«
»Sie hat es Ihnen wirklich
vorgespielt?«
»Ja. Wenn ich sagte, daß mir eine Frage
durch den Kopf geht... Also gut, ich schildere es Ihnen erst einmal, und Sie
sagen mir dann, ob es von Bedeutung ist.« Jane Stein wartete, bis die Kellnerin
ihr nachgeschenkt hatte. Dann fuhr sie fort.
»Ich hatte an dem Morgen die L. A.
Times bei mir. Sie schlug den Teil ›Vermischtes‹ auf und spielte einen sehr
komischen Sketch über eine Frau, die für ihre sieben Dalmatiner einen
Zwanzigtausend-Dollar-Zwinger gebaut hatte und nun ihre Nachbarn davon
abzubringen versuchte, sie wegen Verletzung der Grenzvorschriften vor den Kadi
zu zerren. In einzelnen Punkten war er noch unausgegoren, doch ich war sehr
beeindruckt. Dann passierte etwas Seltsames.«
Ich wartete, bis Jane Stein einen
Schluck Kaffee getrunken hatte.
»Mal sehen«, fuhr sie fort, »daß ich es
so genau wie möglich hinbekomme. Wir unterhielten uns noch ein wenig, und ich
machte mir ein paar Notizen. Während ich schrieb, blätterte Tracy die Zeitung
durch. Nach ein paar Minuten schaute ich auf, und... irgend etwas stimmte
nicht. Ihr Gesicht war sehr blaß und — wie mir später vorkam — ein wenig
verschreckt. Ich fragte sie, was los sei, aber sie zuckte nur mit den Schultern
und sagte nichts, nur, daß ihr gerade eine Idee gekommen sei.«
»Und über die wollte sie sich nicht
auslassen?«
»Nein. Wir haben ein paar andere Dinge
besprochen — Vertragsangelegenheiten — , und dann war es Zeit für meinen Flug
nach New York.«
»Das war es?«
»Bis auf eines, das mir bis heute gar
nicht aufgefallen war. Sie bat mich um das Exemplar der Times. Nach dem,
was Sie mir erzählt haben, muß ich mich jetzt fragen, ob es nicht etwas aus der
Zeitung gewesen war, das ihr diesen Schreck eingejagt hatte. Etwas, das mit
ihrem Verschwinden zu tun hat.«
»Haben Sie bemerkt, in welchen Teil der
Zeitung sie dabei schaute?«
»Leider nicht.«
»Aber es war eindeutig
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