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Mord ohne Leiche

Mord ohne Leiche

Titel: Mord ohne Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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nämlich eine
Sportjacke, ein Hemd, zwei Krawatten und eine Hose. Während ich meinen
Trenchcoat ablegte, sah er sich hilflos um, nahm dann einen Stapel Zeitungen
und Magazine von einem Stuhl und ließ sie in eine Ecke fallen. Ich setzte mich.
Er nahm den Schreibtischsessel und legte die Füße auf das zerfledderte
Eintragungsbuch.
    »So«, sagte er, »was ist denn
passiert?«
    »Der Polizeiarzt von Napa City hat die
Knochen untersucht. Es handelt sich eindeutig um die von Lisa McIntyre.« Er
verzog plötzlich das Gesicht wie im Schmerz. »Armes Kind. Sie tut mir leid.
Aber was, zum Teufel, hatte sie da oben überhaupt zu suchen?«
    »Das kann ich nicht sagen. Haben Sie
ein Foto von ihr — vielleicht in ihrer Personalakte?«
    Er wollte schon den Kopf schütteln,
nahm dann aber die Füße vom Tisch und wühlte in einer der unteren
Schreibtischschubladen. »In dem Jahr hatte mir die Belegschaft eine
Geburtstagsparty ausgerichtet. Irgendwer hat auch Fotos gemacht. Es könnten
auch... da ist eines — Lisa zusammen mit Tracy an der Bar.«
    Ich stand auf und nahm es aus seiner
ausgestrecktene Hand. Sie saßen auf Barhockern, halb zur Kamera gedreht. Tracys
Gesichtsausdruck war wachsam, wahrscheinlich weil sie auf das grelle Licht des
Blitzes wartete. Lisas Lächeln wirkte etwas herausfordernd. Sie hatte ein
herzförmiges Gesicht mit Himmelfahrtsnase. Das hellbraune Haar fiel ihr glatt
auf die Schultern, wo es leicht gelockt aufsprang. Der gewiefte, wissende
Ausdruck in ihren Augen kam mir seltsam bekannt vor. Tracy hatte ihn in ihrem
Sketch von Ginny, der Kellnerin, perfekt getroffen.
    Ich wußte nicht, warum ich ein Foto der
toten Frau hatte sehen wollen. Vielleicht hatte ich gehofft, das Bild von
diesem erbärmlichen Haufen Knochen aus meinem Innern durch den Anblick einer
Lisa aus Fleisch und Blut verbannen zu können. Und noch überraschter über mich
selbst war ich, als ich mich fragen hörte: »Kann ich das haben?«
    »Behalten Sie es nur. Ich kann damit
nichts anfangen.« Als ich es in die Tasche steckte, fügte er hinzu: »Wie sind
Sie darauf gekommen, daß das da oben Lisa sein könnte?«
    »Nur durch den Zeitpunkt ihres
Verschwindens.«
    »Ich frage mich, wie sie dorthin
gekommen ist, oder ob sie überhaupt wußte, wo sie war. Es ist eine einsame
Gegend, und man muß schon genau wissen, wo man abzweigen — « Er brach abrupt
ab, weil er merkte, was das bedeuten konnte.
    »Tracy hat Sie also auch dorthin
mitgenommen?«
    Er machte eine Handbewegung, als wolle
er meine Frage wegwischen.
    »Jay, ich weiß, daß Sie eine Affäre mit
ihr hatten. Offenbar hat das damals jeder gewußt.«
    Es klopfte an der Tür. Mike, der
Barkeeper, kam mit unseren Grogs herein. Larkey wartete, bis er sie serviert
hatte und wieder gegangen war, bis er weitersprach. »Ja, ich glaube, alle haben
es gewußt. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, es zu verheimlichen.«
    »Was hätten Sie auch für einen Grund
gehabt? Affären zwischen Männern in den besten Jahren und Frauen in Tracys
Alter sind nichts Ungewöhnliches.«
    »Vor allem nicht in diesem Geschäft.
Vielleicht möchte ich es deswegen jetzt nicht zugeben. Es war so eine banale
Situation. Älterer Mann klammert sich an sein Geschäft und sucht Bestätigung.
Junge Frau auf dem Weg nach oben glaubt, er kann ihr dabei helfen. Eine uralte
Geschichte.«
    »Ich bin sicher, Tracy hat das nicht so
gesehen. Nach dem, was ich gehört habe, hing sie wirklich an Ihnen.«
    Sein Mund zuckte, und er trank schnell
einen Schluck Grog. »Nein«, sagte er, »das hat sie nicht getan. Aber das hat
nichts zu tun mit... alldem.«
    »Darf ich Sie noch etwas Persönliches
fragen?«
    »Über Tracy?«
    »Ja.«
    »Bitte.«
    »Haben Sie ihr jemals Geld gegeben?«
    »Sie meinen, neben dem, was sie für
ihre Auftritte hier bekam? Ja.«
    »Warum?«
    »Von mir aus gesehen dürfte das klar
sein. Ich habe gedacht, wenn ich ihr Geld gäbe, würde ich sie nicht verlieren.
Aber es war mehr als das. Das Mädchen war arm.« Er sah meinen überraschten
Blick und fügte hinzu: »Nicht an Geld. Ihre Familie ist reich. Aber ganz tief
in ihrem Innern war sie wütend auf ihre Eltern und wollte um alles in der Welt
unabhängig sein.«
    »Und sie kam nicht mit dem aus, was sie
verdiente? Jane Stein sagte mir, der Vertrag mit Ihnen sei ›lukrativ‹ gewesen.«
    »Sie wäre ausgekommen, wenn sie nicht
so... arm gewesen wäre — anders kann ich es nicht ausdrücken. Tracy mußte sich
ständig etwas kaufen — Kleider, Sachen.

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