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Mord ohne Leiche

Mord ohne Leiche

Titel: Mord ohne Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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die
Morgenausgabe?«
    »Ja, vom Montag. Im Februar... und
jedenfalls in dem Jahr.«
    »Und es war die normale L.A.-Ausgabe?«
    Sie nickte.
    Ich trank von meinem Eistee und sah auf
die Rollbahn hinaus, wo gerade eine L1011 landete. Was Jane Stein mir erzählt
hatte, konnte von großer Bedeutung sein — oder aber absolute Fehlanzeige. Ihre
Erinnerung an das Treffen war fast zwei Jahre alt, und was davon noch übrig
war, war heute zwangsläufig von den nachfolgenden Ereignissen gefärbt.
    »Was meinen Sie dazu?« fragte sie.
    »Ich bin froh, daß Sie es mir erzählt
haben. Ich werde mir diese Ausgabe der Times ansehen.« Ich legte die
Unterarme auf den Tisch und spielte mit der Cocktail-Serviette, während ich
meine nächste Frage formulierte. »Ms. Stein, würden Sie mir wohl Ihren
persönlichen Eindruck von Tracy Kostakos schildern?«
    »Gern.« Sie machte eine Pause und
dachte nach. »Sie war... ein Typ, wie wir ihm häufig in diesem Geschäft
begegnen. Extrem narzistisch.«
    Langsam hörte sie sich an wie George.
War heutzutage denn jeder ein Psychologe? »Können Sie mir das erklären?«
    »Tracy hatte ein überentwickeltes Ego.
Natürlich ist im Showbusineß ein gesundes Ego lebensnotwendig. Ohne das kann
man nicht überleben. Aber Tracys war nicht gesund. Sie war ein Bündel von Widersprüchen.
Einerseits war sie sehr unsicher und brauchte ständig Lob und Bestärkung.
Andererseits fühlte sie sich anderen überlegen und erhob Anspruch auf besondere
Behandlung. Sie glaubte, Regeln gälten einfach für sie nicht, und sie war sehr
unsensibel, was die Gefühle anderer Leute anging.«
    »Niemand hat bisher ihre Unsicherheit
erwähnt.«
    Jane Stein lächelte. »Sie gab sich alle
Mühe, sie zu verbergen. Aber so etwas fällt einem Künstleragenten schnell auf.
Sie war fraglos die unangepaßteste Klientin, die ich je hatte. Ich war bereit,
mich mit ihren Mängeln abzufinden, weil sie äußerst begabt war. Sie lebte für
ihre Arbeit. Wenn sie anderen Menschen ihre Rechte absprach oder keine
Rücksicht auf ihre Gefühle nahm, dann gewöhnlich, weil sich die anderen zwischen
sie und ihre Kunst drängten.«
    Vielleicht hatte Jane Stein recht, aber
sie hatte Tracy vom rein professionellen Standpunkt aus betrachtet. Es gab
jedoch noch einen anderen Charakterzug bei ihr, der sich mir nach und nach beim
Betrachten des Videobandes erschlossen hatte. Die Art, sich zu bewegen, zu
sprechen und mit dem Publikum zu kommunizieren, machte mir deutlich, daß Tracy
ein durch und durch sinnlicher Mensch war, nicht nur im sexuellen Sinne des
Wortes. So, wie Rob Soriano es ausgedrückt hatte: Sie wollte die totale
Erfahrung, mit allen Sinnen. Ihre Kunst bot ihr die Chance, der Faszination
nachzugeben, die das Innere anderer Menschen und ihre Art zu leben auf sie
ausübten, und solange sie das nur beobachtet und registriert hatte, war alles
in Ordnung gewesen. Doch irgendwann hatte sie die Grenze zwischen Beobachtung
und wirklichem Teilhaben an Lebensformen, die den eigenen fremd waren,
überschritten: die Frau, die mit Schwarzen schlief, die Lesbierin. Als ihr
Verhalten über das hinausgegangen war, was nicht nur in der Oberklasse, aus der
sie stammte, als noch akzeptabel galt, sondern auch in der Subkultur der
Comedy-Clubs — da war sie in Schwierigkeiten geraten.
    Tatsächliche Anteilnahme am Leben
anderer Menschen. Langsam kam mir eine Idee...
    Jane Stein betrachtete mich
interessiert. »Erfahre ich, was Sie herausbekommen?«
    »Ja, natürlich.«
    »Meine Einschätzung von Tracy mag
geklungen haben, als verurteile ich sie recht heftig. Aber ich habe sie
wirklich gemocht. Sie hatte Talent und war voller Hingabe. Diese Kombination
ist schwerer zu finden, als man erwartet.« Sie brach ab. Ihr Blick wanderte zum
Eingang der Bar. »Mein Klient«, sagte sie.
    Ich stand auf. »Danke, daß Sie sich
Zeit für mich genommen haben.«
    »Keine Ursache.« Sie war bereits aufgestanden,
und ihr Interesse wandte sich von der verlorenen Verheißung, die Tracy Kostakos
einmal für sie gewesen war, den Zukunftserwartungen eines lockigen jungen
Mannes zu, der ihren Tisch ansteuerte.
    Ich ging zu einem der Telefone in der
Schalterhalle und rief per Kreditkarte Detective Gurski an. Er hatte mir vorher
gesagt, daß einer seiner Leute Lisa McIntyres zahnärztliche Unterlagen aus der
Stadt holen und daß er die Gerichtsmedizin drängen werde, ihm bis mittags die
Vergleichsresultate durchzugeben. Er brauchte lange, bis er am Apparat war,
doch dann war sein Ton

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