Mord ohne Leiche
nicht leicht,
und ich habe die Waffe nie bei mir, wenn ich nicht fest mit der Möglichkeit
rechnen muß, daß ich sie brauche.
»Noch etwas«, sagte Gurski. »Sie wurde
im Wagen erschossen.«
»Wie bitte?«
»Hm.« Ein kaum verhohlener Stolz klang
jetzt in seiner Stimme mit. »Als die Gerichtsmedizin den wahrscheinlichen
Todeszeitpunkt bekanntgab, habe ich die Kollegen in San Francisco angerufen.
Sie haben den Wagen immer noch unter Verschluß — Kapitalverbrechen, mögliche
Berufungen. Ich bat sie, nach weiteren Kugeln zu suchen. Sie fanden noch eine,
sie steckte in der Türfüllung auf der Seite, wo die Blutspuren waren. Unser
vorläufiger Vergleich zeigt, daß sie aus derselben Waffe stammt wie die, die in
der Leiche steckte. San Franciscos Superleute haben das vermasselt.«
Das hatten sie tatsächlich, und zwar in
mehrfacher Hinsicht. Ich fand es entnervend, wie nah diese Häufung von Fehlern
meinen Klienten der Gaskammer gebracht hatte. Ich sagte: »Das macht Fosters
Geständnis auf jeden Fall völlig wertlos. Ich werde seinem Verteidiger die
Neuigkeit übermitteln.«
Der Lkw-Fahrer kam durch die Hintertür,
die Rechnung in der Hand, und wartete auf einen Scheck. Ich bedankte mich bei
Gurski für den Anruf und beendete das Gespräch, bezahlte die Rigips-Lieferung
und ging hinaus, um das Seitentor zu verschließen.
Als ich in die Küche zurückkam, hatte
George die letzte Seite von Tracys Sketchbuch aufgeschlagen. Er starrte ins
Leere, das Gesicht versteinert vor Schmerz. Mir stockte der Atem, und ich blieb
in der Tür stehen.
Langsam wandte er mir das Gesicht zu
und sagte: »Warum hast du gelogen?«
Vielleicht hatte er seine Tochter
besser gekannt, als er glaubte. Ich an seiner Stelle hätte sie in diesem kurzen
Absatz nicht erkannt — hätte sie nicht erkennen wollen.
»Ich hatte gehofft, du müßtest es nie
erfahren.«
»Aber du weißt es. Und wir
dürfen kein Geheimnis von dieser Bedeutung zwischen uns treten lassen.«
Ich nickte und ging zu meinem Stuhl.
»Ich glaube«, fügte er hinzu, »du
erzählst mir besser alles, was du über meine Tochter weißt.«
20
Der Mittwoch zog klar und kalt herauf.
Es war einer dieser Morgen nach einem Unwetter, an denen alles scharf Umrissen,
leuchtend und sauber erscheint. Doch meine Stimmung paßte nicht zu diesem
Wetter. Um elf Uhr hatte ich mich auf meinem Schreibtischstuhl herumgeschwungen
und finster durch das Fenster zur Bucht auf die flach sich hinstreckende Outer
Mission geschaut. Ich hatte mich gefragt, mit welchem Recht eine so
zweifelhafte Gegend in der Sonne so gut aussah. Der Schreibtisch hinter mir war
übersät mit Papieren und Ordnern. Der langsame Ferientrott war zu Ende, und
unsere Klienten kamen wieder als Kläger und Beklagte, als Scheidungswillige,
Verhaftete oder Berufung einlegende. Ich konnte mir nicht mehr länger den Luxus
leisten, die Ermittlungen im Fall Foster / Kostakos als Ganztagsbeschäftigung
zu betreiben. Ich gab mir noch bis Montagmorgen Zeit, danach würde ich anfangen
müssen, zwischen diesem Fall und meinen anderen Aufgaben zu jonglieren.
Ich mußte mir eingestehen, daß der
Grund für meine schlechte Laune zu einem guten Teil in der Art lag, wie George
und ich am Nachmittag zuvor auseinandergegangen waren. Er hatte mich darum
gebeten, also hatte ich ihm reinen Wein über Tracy eingeschenkt. Er war
erschüttert und deprimiert. Gegen sechs Uhr ging er und sagte, er müsse einige
Zeit allein sein. Das war nun wiederum alles andere als das, was ich brauchte, und so machte ich mir in der Mikrowelle ein paar Burritos warm (oder
»schmolz« sie mir, wie mein Neffe das nannte), ging dann aus dem Haus und
machte mich auf eine Tour durch die Stadt, bei der wohl nicht viel herauskommen
würde. Zur Stadtbibliothek, wo ich mir die Ausgabe der L. A. Times ansehen wollte, die Jane Stein erwähnt hatte. Aber als ich ankam, war die Mikrofilmabteilung
geschlossen. Zu Amy Barbour und Marc Emmons — für den Fall, daß sie der Polizei
durch die Maschen geschlüpft waren. Zu Lisa McIntyres Adresse in der vagen
Hoffnung, die Hausmeisterin könnte daheim sein. Und schließlich zum Café
Comédie, um zu hören, ob Larkey etwas von Emmons erfahren hatte.
Im Club lief mir Kathy Soriano über den
Weg, und ich fragte sie, ob ich mit ihr über Lisa und Tracy reden könne. Sie
entschuldigte sich mit Zeitmangel, verschwand durch die Tür mit dem ›Ja‹ und
ward nicht mehr gesehen. Ich bat Larkey, für mich ein Wort einzulegen und
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