Mord unter den Linden (German Edition)
einem Erdloch und trat aus dem Schatten der Bäume.
Ihm war nicht ganz wohl in seiner Haut, weil er drei Zivilisten gestattet
hatte, an diesem gefährlichen Polizeieinsatz teilzunehmen, aber bei diesen
Ermittlungen war sowieso nicht alles nach Vorschrift verlaufen, und er hatte
sich außerdem den Überraschungseffekt des Feuerwerks sichern wollen.
Hoffentlich lief alles nach Plan.
Während der
Commissarius langsam mit gezückter Pistole auf die Matrosen zuging, visierte er
den größeren der beiden an und sagte: »Lassen Sie die Waffe fallen – sofort!«
Vollkommen
verwirrt sah der Mann vom Himmelsspektakel zum Commissarius. Über sein Gesicht
huschten die Farben des Feuerwerks. Als er plötzlich die doppelläufige Pistole
in Moses' Richtung schwenkte, zögerte der Commissarius keine Sekunde. Zu oft
hatte er erleben müssen, dass wenige Augenblicke über Leben und Tod entschieden
hatten. Sein Zeigefinger krümmte sich, er überwand den Druckpunkt. Der
Rückschlag riss ihm die Hand in die Höhe. Der Knall hallte laut durch den Wald,
und Vögel flatterten auf, um sich vor dem Lärm in Sicherheit zu bringen.
Die Kugel traf den
Matrosen in die Schulter. Er fiel mit einer seltsam anmutigen Körperdrehung zu
Boden, so als würde er eine schwierige Tanzfigur ausführen. Die Pistole
entglitt ihm und schlug dumpf auf der Erde auf.
Otto sah den
kleinen Matrosen an. Sie dachten das Gleiche, aber Otto stand näher an der
Waffe und reagierte blitzschnell. Mit einem Satz warf er sich in Richtung
Pistole und riss sie an sich.
Der kleine Matrose
hielt in der Bewegung inne und stieß wüste Beschimpfungen aus: »Kommt bloß
nicht näher, ihr Hurensöhne! Ich mach euch fertig.« Mit dem Entermesser
durchschnitt er die Luft, um sich die Angreifer vom Leib zu halten, doch sie
kreisten ihn mit entschlossenen Mienen ein und rückten immer näher. Gehetzt
warf er einen kurzen Blick zu seinem Kameraden. »Steh auf!«
Der tätowierte
Matrose stöhnte. Von dem Geschehen bekam er nichts mehr mit. Sein Gesicht war
wächsern, der Tod hatte seine kalte Hand schon nach ihm ausgestreckt. Die
Blutlache rings um seinen Oberkörper wurde immer größer. Wahrscheinlich, dachte
Otto, ist eine Schlagader durch die Kugel verletzt worden.
»Geben Sie auf«,
sagte der Commissarius. »Sie haben keine Chance.«
»Halt die Fresse!
Ihr alle! Sonst –«
Da riss Moses der
Geduldsfaden. Er richtete den Revolver auf den Boden und drückte ab. Erde
spritzte auf. »Das nächste Mal schieße ich dir ein Loch in den Fuß, du
Schwein.«
Der Matrose sah
sich um. Offenbar überlegte er, welche Fluchtmöglichkeiten er hatte. Dann sagte
er: »Schon gut! Ich gebe auf. Hier!« Er ließ das Messer fallen.
»Auf die Knie«,
befahl der Commissarius und warf Moses eine Handfessel zu. »Leg sie ihm an. Ich
kümmere mich um den anderen.«
Der Commissarius
beugte sich zu dem verwundeten Matrosen hinab und tastete nach dem Puls. »Er
ist … tot«, sagte er. Es klang verwundert. Funke richtete sich auf und
betrachtete den Leichnam noch einen Moment. Dann wandte er sich an den anderen
Matrosen. »Wer ist Ihr Auftraggeber? Kommerzienrat Vitell? Hat er Sie
hierhergeschickt, um Dr. Sanftleben zu beseitigen? Handeln Sie in seinem
Auftrag?«
»Du verdammter
Mörder«, sagte der Matrose und spuckte dem Commissarius aufs Jackett.
Funke blieb
erstaunlich gelassen. Mit ruhiger Stimme versuchte er noch einmal, den Mann zu
einer Aussage zu bewegen, allerdings erfolglos.
Otto hatte das
Geschehen ungeduldig verfolgt. Er musste wissen, wo Rieke war. Nachdem sich der
Brief tatsächlich als Falle herausgestellt hatte, war er sich sicher, dass sie
sich in Vitells Gewahrsam befand. Rieke war also einem Mann ausgeliefert, der
dabei war, den Verstand zu verlieren. Er musste sie beschützen, sie mussten
Vitell so schnell wie möglich festnehmen. Aber so kamen sie nicht weiter.
Otto nahm den
Commissarius zur Seite und sagte: »Machen Sie einen kleinen Spaziergang. Und
nehmen Sie Moses und Ferdinand mit.«
»Was haben Sie
vor?«, fragte Funke.
»Fragen Sie
nicht«, erwiderte Otto. »Gehen Sie einfach und lassen Sie mich einen Moment mit
dem Mann allein.«
»Machen Sie keine
Dummheiten«, sagte Funke.
»Keine Sorge.«
»Was soll das
werden?«, rief der Matrose und sah dem Commissarius, Moses und Ferdinand nach,
die den Weg entlanggingen und schließlich im Wald verschwanden.
»Wenn ich mich
recht entsinne«, sagte Otto, »wolltest du mir ins Maul pissen, wenn ich tot
bin. Das waren
Weitere Kostenlose Bücher