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Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
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rechnete seine Chancen aus, falls
es zu einem Kampf käme. Der Mann war groß und durch die körperliche Arbeit
stark, aber Otto war jünger und so gut trainiert wie nie zuvor. Er war sich
sicher, dass er mit dem alten Dürr fertigwerden würde. Wachsam, jede Bewegung
seines Gegners registrierend, sagte er: »Ich weiß nicht, was Sie mit Ihrer Rede
bezwecken, aber ich kann Ihnen versichern, dass meine Motive ehrenwert sind.
Deshalb bitte ich Sie nochmals, uns allein zu lassen, damit ich meine Befragung
fortsetzen kann.«
    Der
Drechslermeister spuckte verächtlich aus.
    Friederike Dürr
trat aus Ottos Schatten. Sie sah blass und mitgenommen aus. Ängstlich berührte
sie den Arm ihres Vaters. »Der Doktor macht nur seine Arbeit. Du willst doch
auch, dass man Elviras Mörder fasst.«
    »Eins sag ich
Ihnen«, sagte Dürr rau, »wenn Sie meine Tochter anfassen, nur ein einziges Mal,
dann …« Er ballte seine Fäuste, stieß ein Knurren aus und stapfte zurück ins
Haus.
    Der Mann wirkte
völlig unkontrolliert, ja geradezu gewalttätig. Trotzdem ließ Otto der
Zwischenfall kalt. Vielleicht, weil er die Intensität von Dürrs Wut nicht
verstand. Woher rührte so viel Zorn?
    Derweil kämpfte
Friederike Dürr mit sich, um nicht in Tränen auszubrechen. »Sie müssen ihn
entschuldigen, aber nach dem Tod meiner Mutter sorgt er ganz allein für mich.
Er ist so sehr auf meine Tugend bedacht, dass er manchmal nicht weiß, was er
sagt.«
    »Ich verstehe.«
    »Jetzt denken Sie
bestimmt: Was ist das für eine Frau, die einen solchen Vater hat? Ist es nicht
so?« Ängstlich sah sie ihn an. Ihre Lippen zitterten, dann rollten Tränen ihre
Wangen hinab.
    Otto schmolz
dahin. Behutsam trat er einen Schritt näher, reichte ihr sein Taschentuch und
sagte so mitfühlend, wie er nur konnte: »Weinen Sie nicht, Fräulein Dürr. Ich
denke nicht schlecht von Ihnen. Das müssen Sie mir glauben.«
    »Alles macht er
kaputt. Mein Vater ist ein Scheusal. Ich wünschte, er wäre tot.«
    »So etwas dürfen
Sie nicht einmal denken. Vielleicht übertreibt Ihr Vater ein wenig, aber ich
bin davon überzeugt, dass er nur das Beste für Sie will.«
    »Sie sind ein so
guter und anständiger Mensch, Herr Doktor. Ich wünschte, ich wäre auch so.«
    Ihre Worte waren
Balsam für Ottos Seele. »Ach, Sie übertreiben.«
    Nachdem sie sich
ausgiebig geschnäuzt hatte, sagte sie: »Wir sollten jetzt mit der Befragung
weitermachen.«
    »Aber natürlich«,
pflichtete Otto ihr sofort bei. »Erinnern Sie sich also noch einmal an den Tag
zurück, als Sie mit Elvira Krause spazieren gingen. Ist Ihnen wirklich nichts
aufgefallen? Jeder noch so kleine Anhaltspunkt könnte uns helfen.« Otto
bemerkte ein Flackern in ihren Augen. Hatte sie etwa Angst? »Wenn Sie jemanden
gesehen haben und sich fürchten, kann ich Ihnen versichern, dass alle
Informationen vertraulich behandelt werden. Sie können vollkommen beruhigt
sein.«
    »Sie würden nicht
zulassen, dass mir etwas geschieht, nicht wahr?«
    »Werden Sie etwa
bedroht? Brauchen Sie Schutz? Ich kann das arrangieren.«
    »Nein, nein. Ich
muss mir die Ereignisse nur noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen.
Vielleicht fällt mir noch etwas ein. Was halten Sie davon, wenn wir uns in den
nächsten Tagen treffen und das Gespräch dann fortsetzen?«
    »Einverstanden.«
    »Dann kommen Sie
übermorgen ins Belle-Alliance-Theater. Ich lasse für Sie eine Karte
hinterlegen, und hinterher reden wir.«
    Otto sagte zu,
ließ sich von Friederike Dürr zur Haustür bringen und verabschiedete sich dort
mit einer vollendeten Verbeugung. Während er die Stufen der Eingangstreppe
hinuntersprang, dachte er: Wie hat sie sich doch gleich ausgedrückt? Ein so
guter und anständiger Mensch. Ein so schönes Kompliment hatte er schon lange
nicht mehr gehört. Beschwingt marschierte er den Trottoir hinunter. Er war so
in seine Gedanken vertieft, dass er nicht bemerkte, wie sich die Gardinen
bewegten, als er das Fenster der Dürr'schen Küche passierte.

Am Schöneberger Nationaldenkmal
    Mitten in der
Nacht stapfte er über das Kopfsteinpflaster und lauschte gebannt, wie seine
Schritte von den Häuserfassaden widerhallten. Das neue Kokain war von einer
außerordentlich guten Qualität. Er hatte eine Lösung zubereiten können, die ihn
nicht nur von seinen Knochenschmerzen befreite, sondern ihm eine geradezu
kristallene Gedankenschärfe verlieh. Ohne einen Moment zu zögern, hatte er sich
auf das Schöneberger Nationaldenkmal festgelegt. Es

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