Mord unter den Linden (German Edition)
nannte. Vermutlich befürchtete sie, dass ich ein
enger Vertrauter des Kriminaldirigenten sei.«
»Auch sie
beschuldigte von Grabow des Mordes?«
»Das nicht, aber
hören Sie: Angeblich trat Kriminaldirigent von Grabow der Apostolischen
Gemeinde vor gut einem Jahr bei und spendete gleich eine üppige Summe. Schon
nach einigen Wochen kam es allerdings zu einer heftigen Auseinandersetzung. Der
Kriminaldirigent warf dem Apostel vor, die Spenden zu unterschlagen. Daraufhin
ließ der Apostel den Kriminaldirigenten rausschmeißen und erteilte ihm
Hausverbot. Von Grabows Spende behielt er natürlich. Dass der Kriminaldirigent
auf lange Sicht am längeren Hebel sitzt, bezweifelt jedoch niemand, sodass sich
die Sekte seitdem vor seiner Rache fürchtet. So erklärt sich auch ihre eiserne
Verschwiegenheit bei den Verhören.«
»Was wollen Sie
jetzt tun?«
»Das Beste kommt
noch. Die Frau wusste nämlich von ihrem Apostel einiges über die Vergangenheit
des Kriminaldirigenten. Einige Angaben konnte ich bereits durch Nachforschungen
verifizieren. Der Kriminaldirigent war seit seinem Studium der Juristerei
Mitglied in allen möglichen Geheimbünden, obskuren Sekten und anderen
Vereinigungen. Überall kam es zu einem Zerwürfnis, und immer spielten Frauen
dabei eine Rolle.«
»Warum nehmen Sie
ihn nicht fest? Es besteht kein Zweifel. Er ist unser Mann!«
»Sie haben
vielleicht Vorstellungen«, sagte der Commissarius und griff nach der
Likörflasche.
»Das reicht
jetzt!«, sagte Otto energisch. »Sie müssen einen klaren Kopf bewahren. Wir
haben einiges zu erledigen.«
Wortlos stand der
Commissarius auf, ging zum Fenster und stützte sich auf der Fensterbank ab.
Seine Silhouette hob sich dunkel vom strahlend blauen Himmel ab.
»Wissen Sie
eigentlich, was das bedeutet?«, fragte Otto. »Wir haben einen dringend
Verdächtigen. Eine Zeugin hat gesehen, wie sich der Kriminaldirigent und das
erste Opfer trafen. Hat von Grabow denn ein Alibi für die beiden Nächte, in
denen die Morde stattfanden?«
»Ich weiß es
nicht.«
»Dann fragen Sie
ihn.«
»Jetzt hören Sie
mal gut zu, mein Lieber! Der Kriminaldirigent ist mein Vorgesetzter. Ich kann
nicht einfach in sein Büro marschieren und ihn verhören. Und selbst wenn ich es
könnte, würde ich es nicht tun. Bei einem Verdacht wie diesem besteht massive Verdunkelungsgefahr.
Wenn ich ihn verhöre, lege ich die Karten offen auf den Tisch. Und ihm bleibt
genügend Zeit, um belastendes Material verschwinden zu lassen.«
»Wie würden Sie
vorgehen, wenn er nicht Ihr Vorgesetzter wäre?«
»Bei dieser
Beweislage würde ich sein Haus durchsuchen lassen, und zwar schnell.«
»Ich glaube, ich
weiß, wen wir um Hilfe bitten können«, sagte Otto.
Im Alten Museum
Otto trat durch
die bronzenen Flügeltüren und ging durch die Rotunde, einen riesigen Rundbau
mit Kuppelgewölbe. Seine Schritte hallten von den Wänden wider. Im Heroensaal
spähte er nach links und rechts, aber Vitell war noch nicht eingetroffen.
Um sich von seiner
Unruhe abzulenken, widmete sich Otto der Sammlung. Das wertvollste Stück war
eine griechische Bronzestatue, ein betender Knabe. Er stammte vermutlich aus
der Schule des Lysipp aus dem dritten oder zweiten Jahrhundert vor Christus.
Otto hatte nie begriffen, warum Friedrich der Große tausend Taler dafür bezahlt
hatte. Die Darstellungen der Staatsmänner sagten ihm mehr zu. Als er noch in
der Königlichen Bibliothek für sein Buch recherchiert hatte, war er in der
Mittagspause oft in das Alte Museum gegangen und hatte versunken die Statue von
Kaiser Augustus und die Büsten von Julius Cäsar und Alexander dem Großen betrachtet.
Alle drei waren Männer der Tat gewesen.
»Warum haben Sie
mich herbestellt?«, fragte Kommerzienrat Vitell, der mit einem Mal neben der
Cäsar-Büste auftauchte. Er trug ein graues Sakko und eine Hose mit dezenten
Streifen.
»Ich freue mich
sehr, dass Sie es so kurzfristig einrichten konnten«, erwiderte Otto und sah
zum Ausgang des Saals. Dort nahm ein riesenhafter Mann Aufstellung, bei dem es
sich offenbar um Vitells Leibdiener handelte. In seinen langen Schuhen hätte
ein venezianischer Gondoliere mitsamt Fahrgästen Platz nehmen können, und seine
Oberschenkel waren so dick wie antike Säulen. Nur die runden Babyaugen passten
nicht so recht zu seiner martialischen Erscheinung.
»In einer
Viertelstunde hab ich einen Termin mit einer schlesischen Bergwerksgesellschaft«,
sagte Vitell. »Es geht um einen
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