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Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
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ihn hinterher an sein
Eheversprechen erinnerte, flüchtete er sich in Ausreden und warf ihr vor, einen
verdorbenen Charakter zu haben. Später erpresste er sie mit den Fotografien,
damit sie einem jungen Mann ihre Unschuld opferte. Auch den Akt hielt er in Lichtbildern
fest. Verständlicherweise fühlte sich Fräulein Krause benutzt und betrogen.
Irgendwann nahm sie ihren Mut zusammen und brach den Kontakt ab.«
    »Hm, hm«, machte
der Commissarius.
    »Als Sie Fräulein
Dürr fragten, ob den beiden jungen Frauen beim Spaziergang im Friedrichshain
jemand begegnet sei, verneinte sie ebenfalls. Hier wich sie zum zweiten Mal von
der Wahrheit ab.« Otto legte eine bedeutungsvolle Pause ein. »Denn in
Wirklichkeit ist ihnen jemand begegnet. Und zwar derselbe Mann, der Elvira Krause
noch einige Wochen zuvor erpresst hatte. Anscheinend hatte er ihr aufgelauert,
um sie zu einer Aussprache zu bewegen. Fräulein Dürr erzählte mir, dass er sehr
erregt gewesen sei. Ununterbrochen redete er von Gott, Sünde, Fegefeuer und
Höllenqualen. Als er Elvira Krause festhalten wollte, schlug sie ihm ins
Gesicht, so fest und so lange, bis er sie endlich losließ. Daraufhin brach er
in Tränen aus und verlegte sich aufs Betteln. Er machte einen so jämmerlichen
Eindruck, dass sich Elvira Krause schließlich erweichen ließ.«
    »Ist sie mit ihm
fortgegangen?«
    »Nein. Angeblich
entfernten sich die beiden nur ein paar Schritte, um ungestört reden zu können.
Fräulein Dürr blieb in der Nähe, um Elvira Krause, wenn nötig, zur Hilfe zu
eilen. Die Unterredung wurde in einem ruhigen Ton geführt und dauerte etwa zehn
Minuten. Was genau gesagt wurde, konnte Fräulein Dürr jedoch nicht verstehen.
Hinterher bat Elvira Krause sie, schon mal vorauszugehen, weil sie noch eine
Weile allein sein wollte, um in Ruhe nachzudenken. Das war das letzte Mal, dass
Fräulein Dürr ihre Freundin lebend sah.«
    »Und jetzt
erzählen Sie mir bestimmt, wer dieser ominöse Unbekannte ist.«
    »Genau. Und wenn
Sie wissen, wer es ist, verstehen Sie auch, warum Fräulein Dürr so große Angst
hat. Elvira Krause hat ihr gesagt, wer der Mann ist, und so unglaublich es
klingen mag: Es handelt sich um den Kriminaldirigenten von Grabow.«
    Der Commissarius
verzog keine Miene. Nur seine Hand zitterte leicht, als er eine
Schreibtischschublade öffnete und eine Flasche Kirschlikör auf den Tisch
stellte. Nachdem er zwei Gläser bis zum Rand gefüllt hatte, kippte er den Likör
mit einem großen Schluck hinunter. »Das hab ich jetzt gebraucht. Das zweite
Glas ist für Sie.«
    »Ich hab's mir
genau überlegt«, sagte Otto eifrig, ohne den Likör zu beachten. »Es passt alles
zusammen. Ich bin dem Kriminaldirigenten zweimal begegnet. Einmal im Club von
Berlin, das andere Mal stattete er mir einen Besuch ab, als ich im Gefängnis
saß. Beide Male spielte er sich auf, als wäre er ein mittelalterlicher
Inquisitor, und pochte auf Moral, Recht und Ordnung. Mich nannte er einen
Querulanten, weil ich leidenschaftlich gern Fahrrad fahre, und das auch Unter
den Linden. Außerdem warf er mir vor, mit dem Radfahren die Sittlichkeit zu
untergraben. Nach außen spielt er den biederen Herrn, den frommen
Christenmenschen und rechtschaffenen Staatsdiener, aber wenn ihn niemand
beobachtet, gibt er sich der Verderbtheit hin. Dabei ist es ihm vollkommen
gleichgültig, was er seinen Gespielinnen antut. Sie sind nur das Werkzeug
seiner Lust. Von Grabow ist ein janusköpfiges Ungeheuer –«
    »Schon gut, schon
gut«, sagte der Commissarius, »ich kann von Grabow auch nicht leiden, aber das
sind alles keine Beweise.«
    Otto begriff, dass
er stichhaltige Argumente vorbringen musste, wenn er Funke überzeugen wollte.
Unter keinen Umständen durfte er sich von seiner Wut auf den Kriminaldirigenten
hinreißen lassen. Angestrengt überlegte er, wie er den Verdacht erhärten
konnte.
    »Sie erlauben?«,
fragte der Commissarius und trank auch das zweite Glas leer. Dann sagte er:
»Ihre Anschuldigungen überraschen mich nicht.«
    »Wie meinen Sie
das?«, fragte Otto.
    »Heute Morgen habe
ich einem Mitglied der Apostolischen Gemeinde einen Besuch abgestattet. Die
junge Frau erschien mir verständig genug, um den Ernst der Lage zu begreifen,
und ich sollte recht behalten. Ich konnte sie davon überzeugen, dass weitere
Frauen grausam ermordet werden würden, wenn sie nicht endlich auspackte. Man
muss sich vorstellen, was in dem armen Ding vorgegangen sein muss, als sie mir
den Namen meines Vorgesetzten

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