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Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
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in einem wunderbaren Traum. Vor nicht allzu langer Zeit war er verzweifelt
gewesen, und jetzt meinte es das Leben so gut mit ihm. Er hatte nicht nur das
Meisterschaftsfahren gewonnen, sondern auch eine Frau kennengelernt, die ihn
wirklich mochte. Am liebsten hätte er die Zeit angehalten, damit ihm dieser
Augenblick des Glücks für immer blieb.
    »Oskar«, rief da
jemand. »Oskar, wo steckst du?«
    Otto drehte den
Kopf zur Seite und sah eine Frau, die mit gerafftem Rock über das Oberdeck lief
und hektisch in alle Richtungen spähte. »Wenn du jetzt nicht rauskommst, ziehe
ich dir die Hammelbeine lang!«
    Offenbar war ihr
Filius ausgebüxt und versteckte sich irgendwo. Otto grinste. Da streifte ihn
der Blick der Frau, wanderte weiter und kehrte plötzlich zurück. Unverhohlen
starrte ihn die Frau an. Otto war irritiert. Er kannte sie nicht. Verwechselte
sie ihn etwa? Dann erst begriff er, dass nicht er, sondern Rieke gemeint war,
die den Kopf ebenfalls zur Seite gedreht hatte.
    Mit wenigen
Schritten trat die Frau heran und sagte: »Mensch, Rieke! Wir haben uns ja lange
nicht mehr gesehen. Wie geht es dir denn?« Sie trug eine weiße Haube, die Stirn
und Augen beschattete. Ein gestickter Kragen zierte ihre Bluse, und die
schwarzen Schnürstiefel glänzten, als wären sie gerade gewienert worden. Ihre
Kleidung war zwar einfach, aber sie machte einen ordentlichen und
bodenständigen Eindruck.
    Rieke setzte sich
auf. Sie wirkte angespannt, ja fast verkrampft, und steile Falten bildeten sich
um ihre Mundwinkel. Sie sagte kein Wort.
    Obwohl die Frau
sehr resolut wirkte, wurden ihre Augen plötzlich feucht. Sie streckte die Hand
aus, zog sie aber wieder zurück, so als traue sie sich nicht, Rieke zu
berühren. Hilflos blickte sie Otto an. »Ich bin für einen Monat in der Stadt,
um bei meinem Vater auszuhelfen«, sagte sie. »Er hat jetzt ein
Kolonialwarengeschäft in der Prenzlauer Allee. Da gibt's viel zu tun. Und er
ist ja nicht mehr der Jüngste, nicht?« Sie wandte sich wieder an Rieke. »Komm
doch mal vorbei. Ich steh von acht bis acht im Laden. Wir könnten über alte
Zeiten reden und so was.«
    In diesem
Augenblick tauchte der Kopf eines Jungen hinter einer Tonne auf. Offenbar war
das der ausgebüxte Sohn. Er zog die Arme eng an den schmalen Körper und flitzte
hinter seiner Mutter vorbei. Die sah ihm kopfschüttelnd nach und sagte dann zu
Otto: »Nix für ungut, aber ich muss los. Der Junge ist nicht zu bändigen, kommt
ganz nach seinem Vater. Jedenfalls hat's mich gefreut. Auf Wiedersehen.«
    »Ganz
meinerseits«, rief Otto ihr nach.
    Ohne ihr seltsames
Verhalten zu erklären, lehnte Rieke wieder ihren Kopf an seine Schulter. Trotzdem
hatte Otto den Eindruck, als ob sich etwas verändert hätte. Er beobachtete, wie
sich in ihrem Schoß ihre Finger ineinander verkrampften, als fechte Rieke einen
Kampf mit sich aus.
    Plötzlich brach
sie ihr Schweigen: »Otto?«
    »Ja?«
    »Ich muss dir
etwas sagen.«
    Otto leckte sich
die Lippen. Hatte er es doch gewusst! Irgendwas stimmte nicht mit ihr. »Dann
lass mal hören.«
    »Ich wollte mit
dir ins Grüne, um ein schönes Picknick zu veranstalten. Aber es gibt noch einen
anderen Grund, weshalb ich dir die Nachricht geschickt habe und dich sehen
wollte. Ich habe dir nämlich etwas verschwiegen. Vor ein paar Tagen hast du
mich gefragt, ob ich auf dem Spaziergang mit Elvira jemanden gesehen hätte.«
    »Das stimmt«,
sagte Otto, auch wenn er Schwierigkeiten hatte, sich auf den Mordfall
einzustellen und darauf, dass Rieke eine wichtige Zeugin war.
    Jetzt, da sie ihr
Schweigen einmal gebrochen hatte, sprudelten die Worte nur so aus Rieke heraus.
Am Schluss ihrer Geschichte weinte sie bitterlich. Otto beruhigte sie, strich
ihr zärtlich über das Haar und versicherte ihr, dass sie keine Angst zu haben
brauche.
    Dann fragte er:
»Und du bist dir ganz sicher? Es gibt keinen Zweifel?«
    »Er war es.«
    »Dann sollte ich
schnellstmöglich den Commissarius aufsuchen.«

Im Polizeipräsidium
    »Kommen Sie erst
einmal zu Atem, mein Lieber«, sagte der Commissarius. »Und dann erzählen Sie in
aller Ruhe, was passiert ist.«
    Otto nickte, zog
ein Taschentuch hervor und tupfte sich den Schweiß von der Stirn.
    » Désirez-vous
un café – ou une liqueur de cerises? «
    »Ein Glas Wasser
reicht vollkommen.«
    Während der
Commissarius aus dem Büro ging, um das Wasser zu holen, versuchte Otto, sich zu
ordnen. Er atmete tief durch und sah sich im Büro von Funke um. Auf der
Fensterbank

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