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Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
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konnte Männer zweifellos zu
erotischen Phantasien anregen. Also hatte Dürr die Frauen vielleicht getötet,
um die Morde von Grabow anzulasten und sich so dafür zu rächen, dass er Rieke
belästigte? Zumindest arbeitete Dürr mit Holz. Er besaß also die Möglichkeiten,
um ein großes Kreuz herzustellen.
    Otto lehnte sich
zurück. Er hatte alle Fakten betrachtet, und ihm wurde erst jetzt bewusst, dass
er Rieke damit verdächtigte, bewusst geschwiegen und von den Verbrechen gewusst
zu haben. Konnte er sich so sehr in ihr getäuscht haben? Er wusste, dass dieser
Verdacht ihm keine Ruhe lassen würde. Er musste der Sache nachgehen, und zwar
sofort.
    »Ich muss los«,
flüsterte Otto und stand auf.
    »Aber der zweite
Teil der Show hat doch gerade erst begonnen«, sagte Moses.
    »Kannst du nicht
noch eine halbe Stunde warten?«, fragte Ferdinand. »So bald kommt Buffalo Bill
nicht mehr nach Berlin.«
    »Leider nicht«,
erwiderte Otto.
    »Schönes
Geschenk«, sagte Moses. »Dieser Nachmittag sollte mir gehören – das hast du
selbst gesagt.«
    Otto erkannte, wie
enttäuscht der Junge war und wie er in seine alte Abwehrhaltung zurückfiel.
Wenn er ihr Verhältnis wirklich ändern wollte, musste er ihm erklären, was ihn zum
Gehen zwang. »Moses, ich finde die Show auch schön, und ich hätte sie mir gern
mit dir angesehen, aber mir ist gerade etwas eingefallen, das keinen Aufschub
duldet. Es hängt mit Rieke zusammen und mit den Mordfällen. Bitte versteh das!«
    Aufmunternd klopfte
er Moses auf die Schulter, nickte Ferdinand zu und zwängte sich zum Ausgang.
Nur eine Person konnte ihm helfen, Rieke zu verstehen und Licht in ihre
Vergangenheit zu bringen.

Im Leichenschauhaus
    Eiligen Schrittes
begab sich Commissarius Funke in das Büro des Leichenkommissars, der für die
Sicherstellung und Verwahrung von Verstorbenen, die keines natürlichen Todes
gestorben waren, zuständig war. Der Leichenkommissar, ein rundlicher, kleiner
Mann namens Linck, begrüßte ihn mit Handschlag und führte ihn in den Mittelbau,
wo sie ein schlauchförmiges Zimmer betraten. Dort wurden sie von einem Mann
erwartet, der eine rote Samtjoppe und mehrere dicke Ringe an den Fingern trug.
Im Schritt war seine Hose zu eng, sodass sich seine Genitalien abzeichneten. Auf
den ersten Blick wirkte er fast übertrieben modisch angezogen und äußerst
jugendlich. Bei genauerem Hinsehen entdeckte der Commissarius jedoch ein
feines, verästeltes Netz aus Falten in seinem Gesicht und schätzte ihn auf Ende
vierzig, vielleicht sogar Anfang fünfzig. Auch fiel ihm die gräuliche Hautfarbe
auf, die auf einen ungesunden Lebenswandel hindeutete.
    »Guten Tag. Ich
bin Commissarius Funke. Vielen Dank, dass Sie meine Ankunft abgewartet haben,
Herr …«
    »Radtke, Fridolin
Radtke«, sagte der Mann und fuhr sich mit seiner beringten Hand durch die
Haare.
    »Herr Radtke, Sie
glauben also, dass Sie das tote Mädchen kennen?«
    »Was heißt schon
glauben?«, erwiderte der Mann. »Nur um das klarzustellen: Ich glaube an gar
nichts. Aber ja – ich vermisse seit Donnerstag jemanden, auf den die
Beschreibung in der Zeitung zutrifft.«
    »Gut«, sagte
Linck, »dann bitte ich Sie, sich die Leiche anzusehen. Wenn die Herren mir
folgen wollen.«
    Die Männer stiegen
die Kellertreppe hinab und erreichten den unterirdischen Raum, in dem die
Leichen aufbewahrt wurden. Es war hier deutlich kälter als im Erdgeschoss, weil
eine rumpelnde Kältemaschine in Betrieb war, die den Verwesungsprozess
verlangsamen sollte. Trotzdem zog der Commissarius ein parfümiertes Taschentuch
hervor und hielt es sich vor die Nase. Der Leichenkommissar trat unterdessen an
eine Bahre und schlug ein weißes Tuch zurück, sodass der Kopf des Opfers
sichtbar wurde. Das lange rotblonde Haar lag eng am Schädel an. Die Augenlider
waren geschlossen, und die feine, dünne Nase stach aus dem schmalen Gesicht
hervor.
    »Ja«, sagte
Radtke. »Das ist sie.«
    »Wie heißt sie?
Und woher kennen Sie sie?«, fragte der Commissarius.
    »Kann ich mich
hinsetzen?«, entgegnete der Mann. »Mir ist nicht gut.«
    »Bitte«, erwiderte
Linck, führte den Mann in einen Nebenraum und deutete auf einen Stuhl.
    »Wie ist sie
gestorben?«, fragte Radtke, während er sich auf den Stuhl fallen ließ.
    »Jemand hat sie in
seine Gewalt gebracht«, sagte der Commissarius und setzte sich ebenfalls, »und
hat sie über einen längeren Zeitraum mit Messerstichen gequält. Als er genug
von ihr hatte, hat er sie mit einem gezielten Stich

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