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Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
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mitbringen soll.«
    »Nein, wirklich
nicht. Ich hab keinen Hunger. Vielen Dank.«
    »Bring Ferdi eine
große Essiggurke aus dem Spreewald mit. Die isst er am liebsten.«
    »Gern«, sagte
Moses, stand auf und drängte sich an zahllosen Knien vorbei aus der Sitzreihe.
    Otto schob sich
den Hut aus der Stirn und schaute sich um. Der Himmel war leicht bewölkt, aber
es sah nicht nach Regen aus. Ein leichter Wind wehte durch die Arena. Überall
herrschte ein emsiges Kommen und Gehen. Enthusiastisch schilderten sich die
Besucher gegenseitig ihre Eindrücke von der Show.
    Ottos Gedanken
kehrten zu den Morden zurück. Es fiel ihm immer noch schwer, zu akzeptieren,
dass der Kriminaldirigent damit nichts zu tun hatte. Alles hatte so gut
gepasst. Seine Zugehörigkeit zur Apostolischen Gemeinde, der Streit mit
Heribert Korittke, sein Verhältnis mit Elvira Krause und ihr letztes Treffen,
sein religiöser Eifer und die Schuhe mit dem Kreuzmuster.
    »Wenn der Täter
tatsächlich aus purer Lust gemordet hat«, sagte Otto nachdenklich, »so wie es
der Commissarius vermutet, warum hat er die beiden ersten Frauen dann, nachdem
er sie gequält hat, gekreuzigt?«
    »Vielleicht wollte
er die Morde dem Kriminaldirigenten anhängen oder jemand anderem aus dieser
komischen Sekte«, sagte Ferdinand.
    »Das könnte sein.«
    »Vielleicht gibt
es aber auch ein persönliches Motiv. Rache oder Eifersucht.«
    Otto musste an die
Proteste der Arbeiter denken, die nach von Grabows Verhaftung aufgeflammt
waren. Eine Idee nahm vage Konturen an, verflüchtigte sich aber wieder, als er
sah, wie Moses zurückkehrte. Sein Leibdiener verteilte die Speisen und setzte
sich. Bald schon ging die Show weiter. Nun gab es einen spektakulären Zweikampf
zwischen Yellow Hand, dem Häuptling der Sioux, und Buffalo Bill. Angeblich hatte
er sich so am 17. Juni 1875 tatsächlich zugetragen. Otto konnte sich jedoch
nicht auf die Show konzentrieren. Zu viel ging in seinem Kopf durcheinander. Er
merkte, dass er den Überblick völlig verloren hatte. Während er in seinen
sauren Hering biss, ging er mit seinen Gedanken noch einmal an den Anfang
zurück.
    Wer hatte
eigentlich den Verdacht auf von Grabow gelenkt? Eines der Sektenmitglieder
hatte von dem Streit mit Korittke erzählt, aber den entscheidenden Anstoß hatte
Rieke gegeben. Aufgrund ihrer Aussage hatten Funke und er beim
Polizeipräsidenten vorgesprochen und den Hausdurchsuchungsbefehl erwirkt.
    Aber warum hatte
Rieke so lange geschwiegen? Auf dem Bootsausflug hatte sie ihm erklärt, dass
sie sich nicht getraut hätte, von Grabow zu belasten, weil der Kriminaldirigent
eine so machtvolle Position hatte. Sie hätte sich gefürchtet, von ihm zum
Schweigen gebracht zu werden. Außerdem hätte ihr ohnehin niemand geglaubt.
Immerhin sei sie nur eine kleine Revueschauspielerin und der Kriminaldirigent
ein hoher Staatsbeamter.
    Ihre Beweggründe
hatten damals einleuchtend geklungen, aber war eine andere Erklärung für ihr
Zögern nicht ebenso plausibel? Hatte sie vielleicht so lange gewartet, damit
ihr Hinweis glaubhafter erschien? Hatte sie vielleicht den rechten Moment
abgepasst? Hatte sie vielleicht sogar bewusst die zweite Kreuzigung abgewartet?
    Otto kannte Rieke
noch nicht lange, aber er war davon überzeugt, dass ein taktisches Vorgehen wie
dieses nicht ihrem Wesen entsprach. So kühl würde Rieke nicht kalkulieren. Dazu
war sie viel zu impulsiv und spontan. Was aber war, wenn Rieke von einer
anderen Person gelenkt wurde? Wenn sie unter dem Einfluss eines anderen stand
und diese Person ihr vorgab, wie sie sich verhalten sollte? Vielleicht war
dieser Jemand auch dafür verantwortlich, dass sie ihn nicht mehr sehen wollte.
Doch wer könnte eine so große Macht über Rieke haben? Es musste jemand sein,
der ihr nahestand, jemand, von dem sie abhängig war.
    Vor Ottos
geistigem Auge tauchte Eberhard Dürr auf. Rieke hatte sich, als Otto sie zum
zweiten Mal vernehmen wollte, so sehr vor ihrem Vater gefürchtet, dass sie sich
hinter Otto versteckt hatte. Und als er sich dem Drechslermeister vorgestellt
hatte, hatte dieser seine Feindseligkeit offen gezeigt. Er hatte ihm sogar gedroht.
Der alte Dürr war zweifellos aggressiv und vielleicht auch gewalttätig. Nur, wo
lag das Motiv? Was sollte er mit den Morden zu tun haben?
    Da kam Otto ein
Gedanke. Vielleicht hatte der Kriminaldirigent Rieke Avancen gemacht,
vielleicht hatte er ihr nachgestellt. Vielleicht hatte er auch von ihr
Fotografien anfertigen wollen. Ihr Anblick

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