Mord unter den Linden (German Edition)
ins Herz getötet. Ihre
Leiche wollte er in die Spree werfen, dabei wurde er allerdings von einem
Gendarm gestört.«
»So ein Schwein«,
sagte Radtke. »Wer ist denn zu so etwas fähig?«
»Eben das will ich
herausfinden. Und dabei bin ich auf Ihre Hilfe angewiesen. Was wissen Sie über
das Opfer?«
»Lieselotte
Burmeister ist ihr Name. Sie kommt aus einem kleinen Dorf bei Parchim und ist
meine Nichte. Meine Schwester hat sie zu mir geschickt, damit sie … damit sie
was Anständiges lernt. Am nächsten Montag wollte ich sie bei einer
Näherinnenschule anmelden.«
»Die kostet
natürlich Geld«, sagte der Commissarius, der von Anfang an geahnt hatte, mit
was für einer Art Mann er es hier zu tun hatte. »Und um die Schulgebühren und
das Logis bei Ihnen bezahlen zu können, hat sie im Vorfeld eine, nennen wir es,
kleine Erwerbstätigkeit angenommen. Ist es nicht so?«
»Was wollen Sie
mir da unterstellen?«, brauste Radtke auf.
»Würden Sie uns
bitte einen Moment allein lassen?«, fragte der Commissarius Linck. Als dieser
den Raum verlassen hatte, wandte er sich wieder Radtke zu. »Hören Sie, mein
Lieber – es interessiert mich nicht, ob Sie die Lage des Mädchens ausgenutzt
haben. Es interessiert mich auch nicht, was Sie sonst so treiben. Meine Aufgabe
ist es, Lieselotte Burmeisters Mörder zu fassen und weitere grausige Taten zu
verhindern. Ich kann Ihnen versichern, dass alles, was Sie mir sagen, unter uns
bleiben wird. Sie wollen doch auch, dass wir den Kerl schnappen. Deshalb bitte
ich Sie eindringlich, alle meine Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten.«
»Und meine
Schwester erfährt nichts?«
»Nein. Also: Hat
sich das Mädchen prostituiert?«
»Es war ihre
eigene Entscheidung. Sie wollte unbedingt das Geld zusammenbringen, um sich die
Ausbildung leisten zu können. Sie wollte Schneiderin werden. Ich habe ihr
lediglich gezeigt, wie sie es anstellen muss. Und ich habe ihr den Großteil
ihrer Einkünfte gelassen.«
»Also ja. Waren
Sie am Donnerstag, bevor sie verschwand, bei ihr?«
»Nein. Ich habe
noch mehr … ich meine natürlich, dass ich noch andere berufliche
Verpflichtungen habe und diesen nachgehen musste.«
»Wo haben Sie Ihre
Nichte das letzte Mal gesehen?«
»An ihrem
Stammplatz im Lustgarten, ganz in der Nähe des Kanals.«
»Wie nannte man
sie im Milieu? Unter welchem Namen kennen sie die anderen Huren?«
»Sie wurde überall
›das fleißige Lieschen‹ genannt, weil sie mit so viel Ehrgeiz und Engagement
bei der Sache war.«
»Das ist alles,
was ich wissen wollte. Vielen Dank. Sie können sich jetzt zum Leichenkommissar
begeben, der mit Ihnen die amtlichen Angelegenheiten bespricht.«
Auf dem Weg nach
draußen hatte der Commissarius das Gefühl, dass er soeben einen Durchbruch
erzielt hatte. Oft waren es kleine, auf den ersten Blick unscheinbar wirkende
Details, die letztendlich zum Mörder und den Hintergründen einer Tat führten.
Auch die Invaliden-Lotte hatte ihre Freier vorwiegend im Lustgarten aufgelesen
und war dort zuletzt gesehen worden. Möglicherweise hatten sie das Jagdrevier
des Täters gefunden und konnten jetzt endlich konkrete Maßnahmen ergreifen, um
ihn zu fassen.
In der Veteranenstraße
Bei seinem letzten
Aufenthalt im Verlies hatte er das Bewusstsein verloren und war der Länge nach
hingeschlagen. Er hatte sich eine Rippe angebrochen, wohl auch eine Folge der
allgemeinen Knochenerweichung. Dr. Saretzki hatte ihm einen Verband angelegt
und ihm nach viel Betteln und noch mehr Drohungen eine hoch konzentrierte
Morphiumlösung gegen die Schmerzen gegeben, die er nun im Wechsel mit dem
Kokain spritzte.
Mittlerweile war
ihm klar geworden, dass der Kontrollverlust, der ihn die kleine Hure aus dem
Lustgarten hatte fortlocken lassen, der Zusammenbruch und seine Verletzung sich
zum rechten Zeitpunkt ereignet hatten. Das alles führte ihm vor Augen, wie
gefährdet sein Ziel war und dass er jetzt seine ganze Konzentration brauchte,
um am Ende zu triumphieren.
Vor dem großen
Finale waren nur noch wenige Schritte notwendig, und die mussten schnell und
präzise erfolgen. Daher war eine gründliche Vorbereitung notwendig gewesen. Die
Uniformen hatte er schon vor Monaten besorgt, die Flucht war bis ins kleinste
Detail geplant, und die Ersatzkleidung lag in einem Versteck bereit.
Sein Opfer hatte
er sorgfältig ausgewählt. Nach der Nichtverlängerung des Sozialistengesetzes
war innerhalb der Sozialdemokratie heftiger Widerstand gegen die parteiinterne
Hierarchie
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