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Mord unter den Linden (German Edition)

Mord unter den Linden (German Edition)

Titel: Mord unter den Linden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Pieper
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Unterholz gemacht, denn an
ihrem Kleid klebte noch Erde. Immer mehr Lebemänner strömten herein und reckten
auf der Suche nach einem kleinen Abenteuer ihre Hälse. Ein Paar verdrückte sich
in eine dunkle Nische hinter Vitell, und der Mann, ein eleganter Herr in edlem
Zwirn, steckte dem Mädchen Geld zu, woraufhin sie ihre Hand in seine Hose
zwängte und mit einer sanften Massage begann. Unter den Tischtüchern von
Schmitts Colosseum waren schon ganz andere Dinge geschehen.
    Vitells Blick
glitt über die Menge und blieb an einer Frau hängen. Dort am Tresen lehnte ein
bekanntes Kuppelweib, das ihr Frischfleisch vor allem in den Näherinnenschulen
akquirierte. Neben ihr stand ein Mädchen von stolzer Schönheit. Sie hatte lange
blonde Haare, einen rosigen Teint und einen schlanken Hals. Sie wirkte nicht so
abgebrüht wie die anderen, sondern zart und unschuldig. Sie war genau das, was
er jetzt brauchte.
    Vitell wusste,
dass er dabei war, den nächsten kapitalen Fehler zu begehen. Möglicherweise
würde sich die Kupplerin oder ein anderer Gast an sein Gesicht erinnern, aber
er konnte nicht mehr länger warten und wusste einfach nicht, wo er sonst suchen
sollte. Ach, und wenn tatsächlich jemand so dumm sein sollte, ihn bei einer
Gegenüberstellung zu identifizieren, dann würde er es sehr bald bereuen und
seine Aussage zurückziehen oder gar nicht bei der Verhandlung erscheinen
können. Bisher hatte sich noch niemand ungestraft mit ihm angelegt.
    Vitell zog seinen
Hut tief ins Gesicht, drückte das Kinn auf die Brust und drängte sich durch die
Tanzenden, bis er vor der Kupplerin stand. Sie war Mitte fünfzig, hatte graue
Haare und eine Warze im Augenwinkel. Mit ihren Puffärmeln, dem züchtigen
Schultertuch und einer Elfenbeinbrosche mit dem Abbild der Kaiserin Victoria
gaukelte sie Biederkeit vor.
    Vitell sah
seitlich unter seinem Hut hoch, sodass sie sein Gesicht nicht richtig erkennen
konnte, und sagte mit verstellter Stimme: »Gnädige Frau, Sie haben eine
reizende Nichte.«
    Die Alte lachte.
Ihre Augen flatterten, und das weiche Doppelkinn vibrierte. Die Kupplerin
witterte ein gutes Geschäft.
    Um seine
Zahlungsfähigkeit zu demonstrieren, holte Vitell die Geldbörse heraus und
sagte: »Wie viel?«
    »Die Kleene ist
noch ganz unbedarft«, sagte die Kupplerin, »das kann ich Ihnen versichern. Das
kostet natürlich ein bisschen mehr.«
    Vitell kramte zwei
Mark aus der Börse und drückte sie dem Kuppelweib in die Hand. »Reicht das?«
    »Also, ich weiß
nicht, ob Sie –«
    »Hier.« Weitere
drei Mark ließen das Kuppelweib verstummen. Er griff das Mädchen am Arm und
zerrte sie nach draußen. Auf dem Trottoir wollte er Richtung Kutsche gehen, die
einige Straßen entfernt auf ihn wartete. Da sah er einen Gendarm, der ein Paar
anhielt und einige Worte mit der Frau wechselte. Vitell wollte schon in die
entgegengesetzte Richtung ausweichen, als er einen zweiten Gendarm entdeckte,
der an einer Laterne lehnte.
    Offenbar fingen
sie gezielt Prostituierte ab, die einen Freier gefunden hatten. Vermutlich
klärten sie die Frauen darüber auf, dass es der Mörder vor allem auf Huren
abgesehen hatte, und nahmen ihre Kunden in Augenschein. Möglicherweise hatte
die Anwesenheit der beiden Polizisten aber auch einen anderen Grund. Vielleicht
beschatteten sie ihn. Vielleicht waren sie ihm vom Lustgarten hierher gefolgt
und warteten nun darauf, ihn mit einer Pros- tituierten zu erwischen.
    »Was ist nun?«,
fragte das Mädchen an seinem Arm und musterte ihn geringschätzig mit
hochgezogenen Augenbrauen.
    Ihre Verachtung
reizte Vitell fürchterlich. Am liebsten hätte er sie an Ort und Stelle mit dem
Messer bearbeitet, aber ein letzter Rest von Selbstbeherrschung war ihm
geblieben. So nahm er seinen Flachmann aus der Jacketttasche und hielt ihn dem
Mädchen hin. »Ich habe es mir anders überlegt. Trink einen Schluck und dann
gehst du wieder rein. Das Geld könnt ihr behalten.«
    »Schlappschwanz«,
sagte das Mädchen abfällig, wies den Flachmann grob zurück und verschwand wieder
in Schmitts Colosseum.
    Vitell sah ihr
kurz nach und schwor sich, sie zu einem späteren Zeitpunkt zu beehren. Vorerst
musste er sich jedoch zusammenreißen. Nach außen hin völlig ruhig, nahm er
selbst einen Schluck aus seinem Flachmann, verstaute ihn wieder in seinem
Jackett und spazierte den Trottoir hinunter. Als er den Gendarm erreichte,
tippte er mit dem Zeigefinger an seinen Hut und sagte lässig: » Bonsoir, Monsieur. «
    Der Polizist
nickte

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