Mord unter Freunden - Ernestam, M: Mord unter Freunden - Kleopatras Kamm
sein. Das Restaurant war im Erdgeschoss gewesen, oben hatten sie gewohnt, und dort war auch Davids Atelier untergebracht. Sie machten sich mit dem Haus viel Mühe. Gestrichen, genagelt und getischlert, und jeweils nach Fertigstellung ein Zimmer nach dem anderen eingeweiht mit Liebe ohne Klammern. Das Einzige, was sie hier noch an die Vergangenheit erinnerte, war die Skulptur, die dort aufgestellt war, wo sie sie bequem auf dem Sofa sitzend sehen konnte.
Zwei Menschen aus weißem Ton ineinander verschlungen. Die Beine des einen gingen in die Arme der anderen über, Füße verschmolzen, und Finger ineinander verflochten. Der Kopf war einer und zwei gleichzeitig, das Gesicht schaute wie ein Janus voraus und zurück. Janus, das hatte sie auch schon gesagt, als sie David Modell gesessen hatte. Er hatte den Kopf geschüttelt und zum ersten Mal von den Ceratias holboelli erzählt. Von den Fischen, die in einer solchen Tiefe lebten, dass kein Licht bis dorthin drang. Sie waren zu einem Leben in Dunkelheit verurteilt und zu einer Suche, die, wenn sie gelang, zu einer Treue führte, die buchstäblich bis zum Tode währte. David behauptete, dass das Männchen der Spezies Ceratias holboelli sich derart in sein Weibchen, wenn er erst einmal eines gefunden hatte, verbiss, dass die beiden zu einem einzigen Organismus mit einem gemeinsamen Blutkreislauf verschmolzen.
Er sah sie an, als er das sagte, und sie war sich ihrer Nacktheit sehr bewusst gewesen und der Tatsache, dass es ihm freistand, sie so abzubilden, wie es ihm gefiel. Ein Schauder überkam sie, und sie versuchte instinktiv, sich in sich selbst zu verkriechen. David lachte nur.
»Lass das! Du Feigling! Steh auf, sonst verliebe ich mich
in sie und nicht in dich«, sagte er gesagt und küsste hastig die Lippen der Skulptur.
Sie schüttelte sich, richtete sich dann aber wieder auf. Später gewöhnte sie sich an die Erzählung über die ihr unbekannten Tiefseefische, auch wenn sie ihr nie sonderlich gefiel. Sie fand es befreiender, eine Verwandtschaft mit den Delfinen zu empfinden, die sich bei den äußersten Klippen tummelten.
Jetzt betrachtete sie die Skulptur, in der ihr Körper mit einem anderen verschmolz, und überlegte sich, wann David wohl kommen würde. Sie dachte daran, wie sie sich kennengelernt hatten. An jenem Abend im Pub stand sie mit Tränen auf den Wangen da, die nach einer Weile salzige Spuren hinterlassen hatten. Die Italiener entfernten sich nach ein paar höflichen »Ciao Bella«, bei denen ein paar Erinnerungen wach wurden, und dann drehte sie sich um, und bestellte noch ein Bier und leerte es zügig. Das zwang sie, zu ihrem Auto zu eilen und schnell in ihr Bed and Breakfast zurückzufahren, ehe sie noch die Wirkung des Alkohols richtig spürte. Vorher hatte sie noch den Barkeeper ausgefragt und in Erfahrung gebracht, dass David noch die ganze Woche in Mullarkey’s Bar spielen würde.
Jeden Abend ging sie dorthin. Jedes Mal wagte sie sich weiter vor und kam rechtzeitig, um noch einen Sitzplatz zu ergattern. Zum Schluss war es ihr egal, dass er auf diese Weise auf die unscheinbare Blondine aufmerksam wurde, die von ihm und seiner Musik nicht genug bekommen konnte. Es war im Übrigen gar nicht sicher, dass sie ihm wirklich auffiel. Solange er Gitarre spielte, schien er seine Umwelt nicht wahrzunehmen. Er reagierte auf den Beifall, schaute zwischen den einzelnen Songs hoch und lachte manchmal auch. Vielleicht lachte er sie sogar an. Aber wenn er die Flöte an die Lippen setzte, entschwand er, und sie selbst zerbarst. Die Töne zerrissen sie innerlich fast und öffneten alte Wunden. Nach einer Weile gelang
es ihr, ihre Tränen unter Kontrolle zu bringen, aber das war auch alles. Sie hatte sich eingestehen müssen, dass sie sich in einen Mann verliebt hatte, der sie mit seinem Spiel jeden Abend sterben und wiederauferstehen ließ, und den sie bald würde verlassen müssen, ohne zu wissen, welche Farbe seine Augen hatten.
Am letzten Abend, dem Abend, ehe sie zum Flughafen fahren, den Mietwagen zurückgeben und die Ferieneinsamkeit gegen die Alltagseinsamkeit eintauschen musste, wandte er sich ihr zu, nachdem er ein von ihm selbst vertontes keltisches Gebet angekündigt hatte. Anschließend verließ er die Bühne und nahm auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz. Und zum ersten Mal war ihr David nahe. Seine Augen waren hellblau wie ein weiter Himmel.
»Wer bist du?«, fragte er auf Englisch mit einem ganz leichten irischen Akzent.
»Mari«, brachte sie mit
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