Mord zur Bescherung
die beiden Leute in dem Pferdekostüm aufwecken.
Vielleicht hatte es etwas damit zu tun, dass man Tiere nicht grausam behandeln soll, aber sie konnte sich einfach nicht dazu überwinden, dem Vieh einen Tritt zu geben. Dann schnarchte es. Dieses Schnarchen kam ihr sehr bekannt vor. Sie hatte es eindeutig schon einmal gehört.
»Schluss damit! Hört mit dem Blödsinn auf und macht, dass ihr hier rauskommt!«
Sie klatschte mit dem Ende des Staubsaugers herzhaft auf das Hinterteil des Pferdes.
Lautes Stöhnen und leise Flüche waren die Reaktion, dazu zappelten die vier schlaffen Beine, während die beiden Personen im Pferd versuchten, wieder auf die Hufe zu kommen.
Jemand murmelte: »Wo bin ich?«
»Du bist in einem Pferdehintern.«
»Sag so was nicht.«
»Du bist in einem Pferdehintern.«
Honey verschränkte die Arme. Sie hatte sich vorgestellt, dass es von nun an ganz ruhig und gemächlich zugehen würde bis zu einem friedlichen Weihnachtsfest, nur mit Familie und Freunden zum Mittagessen am ersten Feiertag. Wenn erst einmal dieses Pferd aus dem Weg geschafft war …
»Okay. Raus aus den Klamotten. Und zwar sofort.«
Ein überraschter Schrei erschallte aus dem lila-gelben Kostüm.
»Raus. Sofort!«
Smudger Smith, ihr Chefkoch, hatte Haare von der Farbe von Orangenmarmelade und eine helle Haut, die auf schottische Ahnen schließen ließ, obwohl Smudger eigentlich aus Nottingham kam. Sein rosiges Gesicht tauchte aus dem Kostüm auf und wirkte ziemlich zerknittert. Die Haare standen in alle Richtungen wie Borsten einer alten Toilettenbürste. Sein Sous-Chef, ein junger Mann namens Dick, war genauso bleich, möglicherweise sogar bleicher, aber das konnte etwas mit seinem dunkelbraunen Haar zu tun haben.
Beide hatten schon fitter ausgesehen.
»Wo habt ihr das her?«
Die beiden Köche schauten erst einander, dann das Pferdekostüm an. Sie zuckten einmütig die Achseln.
Da wehte in den schalen Geruch der Weihnachtsfeier vom Vorabend zu der schweren Whisky- und Biernote plötzlich eine Wolke Chanel No. 5 hinein.
Honeys Mutter war eingetroffen. Als sie das Pferdekostüm und die beiden halbnackten jungen Männer sah, blieb sie wie angewurzelt stehen.
»Was …?«
»Es ist ein Pferd. Ein Pferd aus dem Weihnachtsspiel«, erklärte Honey.
»Na ja, dass es kaum der heiße Favorit für das 14.15-Rennen in Lansdown ist, kann ja jeder sehen, oder?«, verkündete ihre Mutter. »Übrigens, meine Liebe, warum hast du einen Hut auf?«
»Ein kleines Missgeschick mit meinen Haaren.«
»Du solltest da nur Profis ranlassen. Ich besorge dir einen Termin bei Antoine.«
»Lieber nicht.«
Antoine war ein schlaksiger Lette mit schmalen Hüften und einem knackigen kleinen Hintern, der behauptete, Italienerzu sein. Er trug schwarze Satinhosen, und von seinem Gürtel hingen klirrend einige Stahlkämme. Frauen im Alter ihrer Mutter liebten ihn. Antoine kümmerte sich nicht nur um ihre Frisuren, sondern überhäufte sie auch mit seiner öligen Freundlichkeit. Er wusste ganz genau, wie man die alten Mädels auf Touren brachte, und mit seinen geschickten Händen zauberte er stumpfe Schnitte und rosa Tönungen. Nach seinem Äußeren zu urteilen, war Antoine eindeutig schwul, aber Honey hatte läuten hören, dass der Schein da trog.
»Der flirtet nur mit Schwulen«, hatte Casper St. John Gervais ihr einmal grummelnd verraten, »ist aber keiner. Diese Rolle, meine liebe Honey, ist nur eine Fassade für sein Geschäft. Alte Damen fühlen sich bei schwulen Männern sicherer.«
»Wofür interessiert er sich dann?«, fragte Honey.
»Ältere Frauen. Ich glaube, er ist gern ihr Schoßhündchen. Billiger als ein richtiger Hund. Und er macht ihnen noch die Haare.«
Honey griff sich an den Kopf und beschloss, dass sie lieber ihr Leben lang einen Kaffeewärmer auf dem Kopf tragen würde, als eine Sitzung bei Antoine über sich ergehen zu lassen.
Ausnahmsweise bestand ihre Mutter einmal nicht darauf, ihren Willen durchzusetzen und sofort bei Antoine anzurufen, um dort einen Termin für ihre Tochter auszumachen. Ihre Aufmerksamkeit war ganz auf das Pferd gerichtet.
»Ich will das haben«, hauchte sie mit glänzenden Augen und atemloser Begeisterung.
Der Sous-Chef und Smudger tauschten nervöse Blicke.
»Das Pferd«, sagte Gloria Cross. »Ich will das Pferd haben.« Ihre Stimme klang entschlossen, während sie mit einem rotlackierten Fingernagel auf das lila-gelbe Kostümdeutete. Der rote Nagellack passte perfekt zu ihrem Outfit, einem
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