Mord zur besten Sendezeit
drängten sich auf den Bürgersteigen. Sie trugen alle festes Schuhwerk und lässige Freizeitkleidung und schauten verwundert auf die Frau, die sich in Rot und Schwarz herausgeputzt hatte. Ein, zwei Leute blickten lächelnd zu ihr, und Honey lächelte zurück.
Die beiden Tassen Kaffee heute Morgen plus der Obstsaft, den sie noch rasch vor dem Losgehen getrunken hatte, brachten sie ein wenig in Bedrängnis. Sie musste einen kleinen Zwischenstopp in der Toilette des Römischen Bads einschieben, schnell einen Blick in den Spiegel werfen und dann wieder auf die Straße eilen.
Draußen schien die Luft ein wenig kühler geworden zu sein. Noch mehr Leute lächelten Honey an.
Es ist die Farbe, überlegte sie. Rot macht die Leute einfach fröhlich.
Im Hotel war inzwischen Lindsey am Rand der Verzweiflung. Ihre Großmutter hatte angerufen, um herauszufinden, ob Honey schon losgegangen war.
»Ich habe ihr gestern Abend eine Nachricht auf den Anrufbeantworter gesprochen. Die hat sie doch bekommen, oder?«
»Welche Nachricht?«
Als Lindsey gehört hatte, was geschehen war, rief sie sofort ihre Mutter auf dem Handy an. Keine Antwort.
Smudger lungerte im Empfangsbereich herum, nachdem er die Änderungen am heutigen Tagesmenü aufgeschrieben hatte.
»Probleme?«
»Riesenprobleme. Meine Mutter hat ihr Telefon schon abgestellt, und gerade hat Großmutter angerufen und mir gesagt, dass zwar der Veranstaltungsort derselbe ist, aber ein völlig anderer Gottesdienst abgehalten wird. Wilbur und Alice werden nicht heiraten.«
»Ah! Kalte Füße bekommen?«
Lindseys Blick sagte alles.
Smudger bot an, hinter Honey herzulaufen. »Ich kann gut rennen, wenn auch nicht so schnell wie Clint.«
Lindsey zog eine Grimasse. Je weniger man über Clint sprach, desto besser. Anna war wieder schwanger – und Clint war davongelaufen – eher davongesprintet.
»Versuchen kannst du’s ja mal«, sagte sie zu Smudger.
»Und? Geht die Welt unter, wenn ich sie nicht einhole?«
»Nein. Aber meine Mutter kriegt vielleicht ’nen Herzinfarkt.«
Zwölf
Honey kam zu spät in die Countess of Huntingdon’s Chapel. Den feierlichen Hochzeitsmarsch hatte sie wahrscheinlich bereits verpasst. Von draußen war nichts zu hören, aber das lag wohl an den dicken Mauern. Der Pfarrer war wahrscheinlich schon bei den altehrwürdigen Worten der Hochzeitszeremonie angekommen.
Am Eingang war der schmiedeeiserne Torbogen nicht, wie sie es erwartet hatte, mit Seidenschleifen und Blumensträußen geschmückt. Ihre Mutter hatte ihr doch versichert, dass es so sein würde. War das ein Versehen? Oder hatte das Geld dafür nicht mehr gereicht?
Kaum hatte Honey die Tür aufgestoßen, da beschlich sie das Gefühl, hier stimmte was nicht – aber was?
Alle Anwesenden waren dunkel gekleidet. Aber denen hatte man ja wohl, genau wir ihr, eingeschärft, sie sollten bloß kein Weiß tragen. Und die meisten Leute waren ziemlich alt. Honey vermutete, dass sie sich einfach für das Gegenteil von Weiß entschieden hatten. Schwarz war immer eine gute Wahl.
Honey hielt Ausschau nach ihrer Mutter und fand sie in der dritten Reihe von vorn.
Sie schlich sich in eine Bank ganz weit hinten, die sie für sich allein hatte.
Der Pfarrer sprach sehr leise. Honey musste sich ziemlich anstrengen, um die Worte zu verstehen. Sie hätte ihm gern zugerufen, er solle lauter sprechen, verkniff sich das aber. Der arme Mann war auch nicht mehr der Jüngste, und in diesen alten Kirchen war die Akustik oft recht schlecht. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so still war es. Niemand machte auch nur das leiseste Geräusch. Es gab keine spaßigenKommentare über den Bräutigam und die Braut wie sonst bei Hochzeiten. Nichts. Nur das kaum verständliche Gemurmel des Pfarrers.
Dann fiel es ihr auf. Alice war nirgends zu sehen. Weit und breit keine Alice in einem duftigen weißen Hochzeitskleid. Den einzigen Farbtupfer brachte Honeys Outfit in die Kirche. Honey Driver in ihrem scharlachroten Kostüm mit dem schicken Hut!
Als der Groschen gerade fiel, ging hinter ihr die Tür auf. Eine Gestalt in Weiß trat ein, das Gesicht rosig vor sportlicher Anstrengung.
Sobald Smudger wieder bei Puste war, flüsterte er ihr ins Ohr: »Die Braut ist gestern Nacht gestorben, nachdem sie im Zodiac Club auf dem Tisch getanzt hatte.«
»O Gott!«, flüsterte Honey und floh ins Freie.
Draußen erzählte ihr der Chefkoch von der Planänderung. »Der alte Herr, der heute heiraten wollte, hat es nicht
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