Mord zur besten Sendezeit
vielleicht. Eigentlich war es kein richtiges Winken, sondern reinste königliche Herablassung – oder ein Befehl.
»Also?«, fragte ihre Mutter, sobald wieder Champagner in ihrem Glas perlte.
»Ja, Mutter, also?«, schloss sich Lindsey an, die sich dieses eine Mal offensichtlich mit ihrer Großmutter verbündet hatte.
Honey seufzte und erhob ihr Glas. »Auf dich, Mutter, auf dein Wohlergehen. Schließlich feiern wir nicht jedes Jahr deinen fünfundsiebzigsten Geburtstag.«
Sie bemerkte, dass Lindseys Mundwinkel zuckten. Den fünfundsiebzigsten Geburtstag ihrer Mutter hatten sie bereitsletztes Jahr und im Jahr davor gefeiert. Aber, was zum Teufel …? Noch ein, zwei weitere fünfundsiebzigste Geburtstage würden sie nicht weiter stören, solange ihre Mutter nur glücklich war. Und ein, zwei Gläschen Champagner auch nicht. Und der war gut. Außerordentlich gut.
Zwanzig
Der Champagner war wirklich hervorragend gewesen. So gut, dass es Honey noch vom Scheitel bis zu den Fußspitzen überall kribbelte.
Obwohl es schon spät am Nachmittag war, war die Luft noch ziemlich warm. Vielleicht sind es auch meine glühenden Wangen, überlegte Honey, die gerade mit dem Handrücken die Temperatur geprüft hatte.
Ach, egal. Sie fühlte sich wunderbar. Das Mittagessen war großartig gewesen. Und jetzt war sie wieder voll in Aktion. Bei der Verbrechensbekämpfung, nicht im Hotel. Erst wollte sie noch John Rees besuchen, wie sie es mit ihm abgemacht hatte.
»Das ist aber komisch«, murmelte sie vor sich hin. Hatte ihr John Rees gesagt, dass sein Buchladen jetzt woanders war? Sie konnte sich nicht dran erinnern, aber es sah ganz danach aus. Sie konnte ihn jedenfalls nicht finden, also musste er ja wohl umgezogen sein.
Dank der frischen Luft, die sie während einiger Umrundungen des Queen Square getankt hatte, klarte es in ihrem Kopf allmählich wieder auf. Endlich fiel ihr der Weg zu Johns Buchladen ein, und sie ging in diese Richtung, wenn auch immer noch leicht schwankend. Das musste an den Absätzen ihrer Schuhe liegen. Sie waren wirklich sehr hoch. Rasant und schick.
Die Ladentür von J R Books hatte drei Jahrhunderte nasses britisches Wetter überdauert. Wie oft John Rees auch an dem Hartholzrahmen hobelte, sie war immer schwer zu öffnen. Mit beiden Händen drücken und noch die Schulter dagegenstemmen, sonst ging’s nicht.
Die altmodische Messingglocke bimmelte laut und kündete Honeys Ankunft an. Diese Glocke war schon immer dort gewesen, obwohl John Rees behauptete, man hätte sie früher dazubenutzt, in einem Landhaus den Butler herbeizuzitieren. Diese Geschichte hatte ihm Honey nie so recht abgenommen. Die Glocke war so sehr Teil dieses alten Gebäudes, wie die Bücher es waren – oder wie John Rees, wenn sie es recht bedachte.
Im Laden war die Luft erfüllt vom Geruch alten Papiers und lederner Einbände.
John stand mit dem Rücken zu ihr, in ein lebhaftes Gespräch mit jemandem vertieft, den sie nicht sehen konnte. Beim Läuten der Glocke hatte John sich umgedreht.
Honey lächelte freundlich. »Du hast gesagt, du wolltest mich sprechen. Es klang ja alles sehr geheimnisvoll«, fügte sie hinzu.
Der Mann, der bei John stand, starrte sie ernst an. Sein Gesicht war hart und so streng wie seine Kleidung. Teure Kleidung mit messerscharfen Bügelfalten und goldenen Manschettenknöpfen.
Sie lächelte auch ihn an. »Es tut mir leid, dass ich Sie unterbrochen habe.«
»Macht nichts«, erwiderte der Mann knapp und schaute auf seine Armbanduhr. »Ich melde mich, John.«
Sein Lächeln wirkte gezwungen, und er hielt sich nicht lange auf, schlängelte sich an Honey vorbei, die Augen konzentriert auf die Ladentür gerichtet.
Honeys Antennen machten Überstunden. Sie hatte offensichtlich eine wichtige Unterhaltung gestört.
»Hab ich was Falsches gesagt?«
Sie stand da und grinste dämlich, wartete darauf, dass John sie fragen würde, ob sie einen Kaffee trinken wollte, ihr einen Stuhl oder vielleicht sogar eine kleine Umarmung in einer dunklen Ecke anbot.
Sein Lächeln wirkte gezwungen. »Natürlich nicht. Wie kommst du denn darauf?«
»Hat er was gekauft?«
»Von mir? Nein«, antwortete John und lächelte ein wenigentspannter, als er den Kopf schüttelte. »Der interessiert sich nicht für Bücher.«
»Oder Landkarten?«
»Nur manchmal.«
»Willst du mir was über diesen Mann erzählen, oder ist das alles ein großes Geheimnis?«
Nachdem sie das gefragt hatte, schwieg sie und stand mit verschränkten Armen
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