Mord zur Geisterstunde
andere an Wohltätigkeitseinrichtungen. Honeys Mutter liebte das Geschäft, da es ja mit Kleidung von höchster Qualität handelte. Sie hatte noch nie in ihrem Leben hinter einer Ladentheke gestanden. Sie hatte stets die andere Seite bevorzugt, da sie immer lieber Geld ausgegeben als etwas verkauft hatte. Doch das hier war etwas anderes. Im Laden blühte der Handel mit Kleidern und Klatsch Er war ein Riesenerfolg – zum Einen geschäftlich und dann, weil er Honey an zwei Tagen in der Woche ihre Mutter vom Leib hielt. Wenn der Laden schließen müsste, wäre das wirklich furchtbar.
Honey merkte, wie ihr rechtes Lid nervös zu zucken begann. Wenn sie nicht aufpasste, würden ihre schrecklichsten Albträume wahr werden. Dann wollte ihre Mutter vielleicht im Hotel helfen. Schlimmer ginge es nicht. Weit gefehlt!
|139| Gloria Cross seufzte und stopfte sich das Taschentuch in den Ärmel. »Ich dachte, wir könnten zwischenzeitlich das Second Hand Rose hier bei dir unterbringen. Nur bis wir einen neuen Laden gefunden haben. Mit ein bisschen frischer Farbe wäre Maurice Clouts alter Laden für uns gar nicht so übel.«
Honey lief es eiskalt über den Rücken. »Letzte Woche war schon ein Interessent da«, behauptete sie.
Das war eine glatte Lüge. Der alte Frisiersalon war seitlich ans Hotel angebaut. Der Eingang lag in einer kleinen Seitenstraße. Viele Jahre lang war Maurice Clout der Pächter gewesen. Dann hatte ihn seine Arthritis – und die Tatsache, dass er lieber seine Zeit im Wettbüro verbrachte – zum Aufgeben gezwungen. Die Idee ihrer Mutter war an sich schon ein Albtraum. Aber es konnte noch schlimmer kommen, denn was als Zwischenlösung anfing, konnte sehr leicht zur Dauereinrichtung werden.
Gloria Cross hatte die Augen zu schmalen Schlitzen verengt und schaute ihre Tochter vorwurfsvoll an. »Ich bestehe darauf. Du schuldest mir immer noch Geld für dieses neumodische Dampfbad, das du eingebaut hast.«
Die Sauna. Die Idee war ihr damals gut und einleuchtend erschienen, und der Preis war verlockend gewesen. Der Verkäufer auch. Ein großer, blonder Schwede mit kantigem Kinn und straffem Po.
Honeys Mutter blickte säuerlich. »Niemals hättest du diesen hölzernen Dampftopf kaufen dürfen. Wer will denn schweinchenrosa aussehen, mein Gott?«
Honey drehte die Augen zur Decke. Sie hätte erwidern können, dass Rosa immerhin Mary Janes Lieblingsfarbe war. Allerdings lag ein Körnchen Wahrheit im Argument ihrer Mutter. Die Sauna wurde von den Gästen nicht so angenommen, wie Honey es sich erhofft hatte. Und nun würde sie Honey in alle Ewigkeit verfolgen – zumindest, solange ihre Mutter am Leben war und die Bank noch Rückzahlungsraten an sie überwies.
»Wir wollen doch nichts überstürzen. Das kommt alles ein bisschen plötzlich. Warum setzen wir uns nicht zusammen, ich hole uns einen Kaffee, und du erzählst mir, was geschehen ist.«
|140| Während Honey Kaffee einschenkte, begann ihre Mutter mit ihrer Geschichte.
»Wallace & Gates Holdings, denen das Gebäude gehört, haben uns bisher immer sehr gut behandelt. William Wallace ist richtig nett. Der hätte uns nie rausgeworfen.« Plötzlich beugte sie sich vor, zwinkerte und tätschelte Honeys Knie. »Wir sind der gleiche Jahrgang, weißt du. Er war ein ziemlich toller Hecht, ehe er auf einmal so senil wurde.«
»Ah, verstehe. Das heißt, er ist über siebzig. Es sei denn, er ist Braveheart, der original schottische Held William Wallace. Dann würde er jetzt auf die sechs- oder siebenhundert zusteuern.«
Gloria Cross verzog das Gesicht. »Sei bitte nicht so albern. Das können wir jetzt wirklich nicht brauchen. Diese Sache musst du ernst nehmen.«
»Ja, das mache ich doch.« Es würde ungeheure Konsequenzen haben, wenn sie ihre Mutter als Nachbarin hätte. Honey zwang sich also, ernsthaft über die Angelegenheit nachzudenken. »Ihr habt doch diesen Laden schon fünf Jahre. Wieso wollen sie euch denn jetzt plötzlich loswerden?«
Mehr Miete, das war wahrscheinlich der Grund.
Ihre Mutter zuckte ratlos die Achseln. »Keine Ahnung. Aber das werde ich noch herausfinden. Ich werde mich in die Höhle des Löwen begeben, sozusagen.«
Da musste der Mordfall warten. Honey sprang auf. »Ich komme mit.«
Jetzt hatte sie eine Mission zu erfüllen. Eine chinesische Weisheit besagt, dass eine Frau im Haus Frieden bedeutet, zwei Frauen im Haus dagegen Krieg. Das war eine kurze, knappe und sehr zutreffende Zusammenfassung von Honeys Lebenslage.
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