Mord zur Geisterstunde
war viel zu dünn«, behauptete die füllige Südafrikanerin. »Wenn Sie nicht aufpassen, verklage ich Sie auf Schmerzensgeld.«
Honey schob die Tür zur Duschkabine auf. Der Schuh steckte noch an Ort und Stelle. Der dazugehörige Ehemann, ein mickriges Kerlchen, dem büschelweise Haare aus den Ohren sprossen, blieb auf dem Bett sitzen. Er starrte niedergeschlagen auf den Fußboden.
Honey wandte sich zu der Frau um: Mrs. Van der Witt.
»Sie haben in der Dusche Bleistiftabsätze getragen?«
Momentan trug Mrs. Van der Witt knallrote Bermudashorts und dazu passende Sportschuhe. Honey vermutete, dass sie sich blitzschnell umgezogen hatte.
»Ich wollte nachsehen, wie heiß das Wasser ist.«
»Dazu reicht gewöhnlich eine Hand.«
|131| »Ich kann nicht so weit greifen. Sehen Sie?«
Mrs. Van der Witt beugte sich weit vor und streckte den Arm an Honey vorbei. Die sah nur noch das rote Hinterteil der Dame. Eindrucksvoll. Groß und breit verdunkelte es den Himmel.
Honey griff in die Kabine, zog den Schuh heraus und reichte ihn seiner Besitzerin. Das Lächeln war ihr auf dem Gesicht erstarrt.
»Wir sind hier außerordentlich tolerant, Mrs. Van der Witt. Ich schicke jemanden, der den Schaden begutachtet, und wir setzen den Betrag dann auf Ihre Rechnung. Geht das in Ordnung?«
Mrs. Van der Witts Gesichtszüge entgleisten. Mann und Frau tauschten einen raschen Blick. Die Gattin errötete. Der Ehemann starrte erneut auf seine Fußspitzen. Keiner sagte ein Sterbenswörtchen.
Honey ging zum Empfang zurück. Wer ein Hotel führt, muss Freunde und Verwandte in den kleinen Pausen unterbringen. Honey wollte ihrer Tochter eine Frage stellen. Aber die kam ihr zuvor.
»Großmutter sagt, dass sie und Margaret und die anderen alles besprechen. Sobald sie entschieden haben, was zu tun ist, kommt sie her.«
Honey schaute verständnislos. »Hast du eine Ahnung, wovon sie redet?«
Lindsey schüttelte den Kopf. »Keine Spur. Du kennst doch Großmutter.«
Und wie! Doch das Wichtigste zuerst.
»Lindsey, hast du zufällig einen Motorradfahrer gesehen, der hier vor dem Hotel herumlungert?«
Lindsey war gerade am Computer beschäftigt. Es war wohl eine komplizierte Sache, denn sie schaute nicht auf. Dann zuckte sie die Achseln und sah Honey ziemlich aufmüpfig an. »Kann sein.«
Mütterliche Fürsorge schwang in Honeys Stimme mit. »Ver sprich mir, dass du ihn auf keinen Fall ansprichst. Das ist ein entflohener Sträfling, und er ist sehr, sehr gefährlich.«
|132| Lindsey lachte glucksend.
»Ich glaube dir kein Wort.«
»Doch, es ist wahr«, bekräftigte Honey warnend und sehr leise. »Das ist ein Mörder, und vielleicht lauert er mir auf. Er hat mich neulich abends entführt, allen Ernstes. Wenn ich das alles vorher gewusst hätte, wäre ich natürlich nicht mitgefahren. Es ist ja nichts passiert, und ich weiß wirklich nicht, warum er mich einfach so wieder hier abgesetzt hat. Ich denke, es sollte vielleicht eine Warnung sein.«
Lindsey arbeitete konzentriert weiter. Eine bunte Internetseite nach der anderen erschien auf dem Bildschirm. Dann sah Honey genauer, was darauf dargestellt war.
»Sehen meine müden Augen da etwa einen Herzogstitel?«
»Genau. Es gibt unzählige Anbieter, von denen du dir einen Titel kaufen kannst«, antwortete Lindsey, die anscheinend in den Inhalt der Seite vertieft war. »Meine Güte, aber diese Kerle verlangen ja Unsummen.«
Honey runzelte die Stirn. »Ich frage mich, ob unser Mordopfer mit den Dienstleistungen der Verkäufer völlig zufrieden war.«
»Du meinst, sie wollte vielleicht was über irgendwelche betrügerischen Machenschaften verraten?«
»Derlei Schwindeleien gibt es durchaus, habe ich mir sagen lassen.«
»Klar gibt es die. Das Internet ist der Traum eines jeden Betrügers. Es gibt natürlich auch seriöse Angebote.«
Honey stützte das Kinn in die Hände. Hatte Ihre Ladyschaft einen unechten Titel gekauft, das herausgefunden und dann den Verkäufer gesucht? Das war durchaus möglich.
Honey schaute zur Decke und überlegte. »Manche Leute sind ja richtig versessen auf Dinge, die sie vermeintlich eine Stufe höher stehen lassen als alle anderen. Ums Geld geht es natürlich auch. Hast du gesagt, dass solche Titel für dreißigtausend und mehr verkauft werden?«
»Manchmal schon. Echte Titel sind allerdings eher die Ausnahme. Im Internet werden überraschend viele für recht moderate |133| Preise zum Verkauf angeboten. Viel zu viele, als dass alle echt sein könnten.«
Honey
Weitere Kostenlose Bücher