Mord zur Geisterstunde
setzte sich neben ihre Tochter und starrte auf den Bildschirm. Die beliebtesten Illustrationen auf diesen Seiten waren anscheinend Frottagen von mittelalterlichen Lords und Ladys. Auch die Texte klangen alle ziemlich ähnlich.
Möchten Sie auf einem kleinen Flecken Englands Lord und Lady sein?
»Das ist was für Romantiker, die nicht in der Wirklichkeit leben.«
Lindsey zuckte die Achseln.
Honey schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass das so viel kosten kann.« Sie überlegte. »Also, das Opfer hat herausgefunden, dass der Titel nicht echt war. Dann hat Wanda gedroht, den Anbieter, von dem sie den Titel gekauft hat, auffliegen zu lassen. Und die mussten sie zum Schweigen bringen. Wie klingt das?«
»Gut möglich.« Lindsey tippte auf die Pfeiltaste, um weiter nach unten zu blättern. »Es gibt ja Leute, die beinahe schon süchtig auf Internetgeschäfte sind, selbst wenn die gar nichts bringen. Anderen Leuten macht es einfach nur einen Riesenspaß.«
Honey fand alle Geschäfte lästig, die nichts brachten. Warum schuften, für nichts und wieder nichts, nur für einen gewissen Kitzel?
»Also, ich würde die Sache mit einem festen Tritt wieder in Schwung bringen und mich dann ausklinken.«
Lindsey zog eine Augenbraue in die Höhe. »Das würden die meisten vernünftigen Menschen machen. Aber es sind nun mal nicht alle vernünftig.«
Honey wischte ein Stäubchen von der Kappe ihres schicken Schuhs und meinte nachdenklich: »Es kommt mir vor, als wären die alle ein bisschen überkandidelt. Um nicht zu sagen wahnsinnig.«
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Lindsey wartete vor der Tür des Catnip Clubs. Als sie ein schwarzes Motorrad erblickte, das in den speziell für Zweiräder reservierten Parkplatz einbog, stahl sich ein Lächeln auf ihre Züge. Sie sah, wie der Fahrer das Visier seines Helms hochklappte, ehe er ihn absetzte.
In alten Zeiten, als es noch tapfere Ritter gab …
Sie musste grinsen.
Diesmal hatte er seine Ledermontur zu Hause gelassen. Er trug ein beiges Jackett, dunkle Hosen und ein frisch gestärktes weißes Hemd. Am Hals baumelte ein kleines goldenes Kruzifix.
Er lächelte, als er sie sah.
Sie küssten einander, und er nahm sie beim Arm.
»Heißt du in Wirklichkeit Warren Price?«, fragte sie ihn.
Er feixte. »Wenn du das gern hättest. Willst du das?«
»Eigentlich nicht. Meine Mutter stellt alle möglichen Fragen. Warren Price ist ein Mörder. Das ist doch nichts für dich, oder?«
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Das Frühstück war vorbei. Die Rechnungen für die an diesem Tag abreisenden Gäste waren vorbereitet. Alles lief wunderbar. Bis Honeys Mutter anrückte.
»Hannah! Die Mädels und ich, wir haben uns das Hirn zermartert, aber wir haben nichts gefunden. Wir müssen in die Schlacht ziehen und brauchen deine Hilfe. Komm bitte zu mir, sobald du fertig bist. Und meine Enkelin, ist die auch da? Die brauche ich vielleicht ebenfalls.«
Schlechte Neuigkeiten! Honey hatte eigentlich vorgehabt, sich bei Steve Doherty zu erkundigen, ob er Fortschritte im Fall Templeton-Jones gemacht hatte. Das konnte sie jetzt vergessen.
Gloria Cross schien so wild entschlossen zu sein wie John Wayne bei der Vorbereitung auf die Landung in der Normandie. Sie hatte sogar die gleiche Haltung angenommen. Zum Glück sah sie nicht auch noch aus wie er. Sie war braun gebrannt und unglaublich lebendig für ihr Alter. Sie trug ein sandfarbenes Wildlederkostüm mit blauen Paspeln. An ihren Ohrläppchen baumelten schwere Perlenohrringe, so groß wie Wachteleier. Ein dazu passendes Perlencollier mit Goldfassung – Modeschmuck, zum Niederknien schön – schmiegte sich um ihren Hals. Heute war sie noch lebhafter als sonst, denn sie war gerade von einer Kreuzfahrt mit dem Senioren-Salsa-Club zurückgekehrt.
Eine Wolke französischen Parfüms waberte hinter ihr her, nachdem sie, ohne auch nur anzuklopfen, die Tür zum Büro aufgestoßen hatte. Das war allerdings gerade verwaist, weil Honey sich im Augenblick um einen zehnjährigen irischen Jungen kümmerte, der sein Skateboard nicht mehr finden konnte.
»Ich werde alle bitten, danach Ausschau zu halten, Kenny«, |136| versprach Honey dem besorgt blickenden Knirps. »Komm nach dem Mittagessen wieder zu mir. Ich wette, dass es bis dahin aufgetaucht ist.«
Sie konnte ihm an der Nasenspitze ansehen, dass er ihr das wirklich glaubte. Kenny war blond, hatte blaue Augen, und bis jetzt hatte er das Vertrauen zu den Erwachsenen noch nicht verloren. Ein, zwei Jahre, dann
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