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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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verfüge eine Verhaftung, und meine Entscheidung wird ignoriert. Hiermit schließe ich den Fall.«
    »Aber die Fasern«, wandte Littlemore ein, »und die Haare. Die Verletzungen. Das haben Sie doch selbst gesagt, Mr. Hugel.«
    »Was habe ich gesagt?«
    »Sie haben gesagt, dass der Mörder von Miss Riverford derselbe Mann war, der Nora Acton überfallen hat. Sie haben gesagt, dass es Beweise dafür gibt. Das bedeutet, Miss Acton hat sich das nicht alles ausgedacht. Es hat tatsächlich einen Überfall gegeben, Mr. Hugel. Es gibt einen Grund für weitere Ermittlungen. Irgendjemand hat Miss Acton am Montag angegriffen.«
    »Detective, ich habe nur gesagt, dass die Spuren an den beiden Tatorten auf ein und denselben Täter in beiden Fällen hindeuten. Von Beweisen war nicht die Rede. Lesen Sie meinen Bericht.«
    »Sie glauben doch nicht, dass Miss Acton … Sie glauben doch nicht, dass sie sich selbst ausgepeitscht hat, oder?«
    Mit einem Ausdruck griesgrämiger Schlaflosigkeit starrte der Coroner ins Leere. »Widerlich.«
    »Aber was ist mit der Krawattennadel? Sie haben doch selbst von einer Krawattennadel mit Banwells Initialen geredet. Das ist genau das, wonach Sie gesucht haben, Mr. Hugel.«
    »Littlemore, haben Sie keine Ohren? Sie haben doch gehört, was Riviere gesagt hat. Der Abdruck auf Miss Riverfords Hals war nicht von den Buchstaben GB . Ich habe einen Fehler gemacht«, knurrte Hugel verbissen. »Einen Fehler nach dem anderen habe ich gemacht.«
    »Und wie kommt sie dann – die Krawattennadel, meine ich – an den Baum?«
    »Woher soll ich das wissen?«, brüllte Hugel. »Warum fragen Sie nicht Miss Acton? Wir haben nichts in der Hand. Nichts. Nur dieses verdammte Mädchen. Keine Geschworenenbank im ganzen Land würde ihr mehr glauben. Wahrscheinlich hat sie die Nadel selbst in den Baum gesteckt. Sie ist … sie ist eine Psychopathin. Sie gehört unbedingt in eine Anstalt.«

     
    Lächelnd und verbindlich nickend zog sich Sándor Ferenczi zur Tür von Jungs Hotelzimmer zurück – wie ein Höfling, der sich aus der erlauchten Präsenz eines Königs entfernt. Einigermaßen beklommen hatte er ihm Freuds Bitte um ein Gespräch unter vier Augen ausgerichtet.
    »Mit Vergnügen«, hatte Jung geantwortet. »Bestellen Sie ihm, dass ich in zehn Minuten bei ihm bin.«
    Ferenczi hatte tiefe Gekränktheit und Unversöhnlichkeit erwartet, und nicht die heitere Gelassenheit, mit der ihn der Schweizer empfing. Allerdings musste er Freud auch davon in Kenntnis setzen, dass er diesen plötzlichen Stimmungswechsel als äußerst beunruhigend empfand. Zumal er Freud auch nicht verschweigen konnte, womit Jung beschäftigt war.
    Hunderte von Kieseln und Steinchen waren zusammen mit einem Armvoll abgebrochener Zweige und ausgerupftem Gras auf dem Boden von Jungs Zimmer verstreut. Ferenczi konnte sich nicht vorstellen, wo das alles her war – möglicherweise von einem dieser leeren Baugrundstücke, die in New York allgegenwärtig waren. Jung selbst hockte im Schneidersitz auf dem Boden und spielte mit den Sachen. Er hatte sämtliche Hotelmöbel – Sessel, Lampen, Couchtisch – weggeschoben, um eine möglichst große leere Fläche zu bekommen. Auf dieser Fläche hatte er aus den Steinen ein Dorf mit Dutzenden von Häusern errichtet, die ein Schloss umringten. Hinter jedem Haus gab es ein kleines Areal mit büscheligem Gras, das vielleicht einen Gemüsegarten oder einen Hof darstellen sollte. Im Zentrum des Schlosses versuchte Jung einen gegabelten Zweig mit langen, daran festgebundenen Grashalmen aufzupflanzen, doch seine Standarte wollte nicht stehen bleiben. Genau aus diesem Grund, so vermutete Ferenczi, konnte Jung sich auch erst in zehn Minuten mit Freud treffen. Vorausgesetzt, die Verzögerung hatte nicht doch eher etwas mit dem Ordonnanzrevolver auf Jungs Nachttisch zu tun.

     
    Es ist sicherlich unmöglich, dass ein Haus einen Gesichtsausdruck hat, aber ich hätte das Gegenteil geschworen, als ich mich am späten Donnerstagvormittag dem Kalkbau der Actons am Gramercy Park näherte. Noch bevor mir jemand die Tür öffnete, wusste ich, dass drinnen etwas nicht stimmte.
    Mrs. Biggs ließ mich ein. Von ihrer gewohnten Redseligkeit war nichts zu bemerken. Die Frau rang buchstäblich die Hände. Mit gequälter Flüsterstimme teilte sie mir mit, dass alles ihre Schuld war. Sie hatte doch nur aufräumen wollen. Und sie hätte es nie jemandem gezeigt, wenn sie die Folgen auch nur im Entferntesten geahnt hätte.
    Allmählich

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