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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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urteilen, war es das keineswegs.

     
    Detective Littlemore war zwar bitter enttäuscht darüber, wie wenig der Coroner seine Ermittlungserfolge zu würdigen wusste, aber er ließ es zu, dass Hugel das Gespräch wieder auf Miss Riverfords Dienstmädchen brachte, von dem er gleichfalls interessante Informationen erhalten hatte.
    »Die ist wirklich schlecht dran, Mr. Hugel. Ich würde gern was für sie tun.« In Wirklichkeit hatte der Detective bereits etwas für sie getan. Nachdem Betty zunächst ziemlich zugeknöpft auf seine Fragen reagiert hatte, lud er sie auf eine Limonade in einer Erfrischungshalle ein. Als er ihr erzählte, dass er von ihrer Entlassung wusste, brach alles aus ihr heraus. Warum nur war sie rausgeschmissen worden? Das war so was von ungerecht. Schließlich hatte sie doch nichts Schlimmes getan. Manche der anderen Mädchen stahlen sogar Sachen aus den Wohnungen – warum wurden die nicht gefeuert? Und was sollte sie jetzt anfangen? Wie sich herausstellte, war Bettys Vater im vergangenen Jahr gestorben. In den letzten zwei Monaten hatte Betty ihre ganze Familie – ihre Mutter und drei jüngere Brüder – mit ihrem Lohn vom Balmoral ernährt.
    »Was hat sie Ihnen erzählt, Detective?« Der Coroner kniff ungeduldig die Lippen zusammen.
    »Betty ist nicht gern in Miss Riverfords Wohnung gegangen. Sie sagt, dass es dort gespukt hat. Zweimal war sie sicher, dass sie dort ein weinendes Baby gehört hat, aber da war kein Baby; das Apartment war jedes Mal leer. Und Miss Riverford war seltsam, sagt sie. Eines Tages vor ungefähr vier Wochen war sie auf einmal da. Keine Umzugswagen, nichts. Und die Wohnung war schon vor ihrer Ankunft eingerichtet. Sie soll sehr ruhig gewesen sein, ganz zurückgezogen. Nie irgendwas in Unordnung. Hat ihr Bett selbst gemacht, und alles war säuberlich aufgeräumt. Einer der Wandschränke war immer verschlossen. Einmal wollte sie Betty ein Paar Ohrringe schenken. Betty hat gefragt, ob sie echt sind – das heißt, ob es echte Diamanten sind -, und als Miss Riverford Ja gesagt hat, hat Betty sie nicht angenommen. Doch Betty hat sie fast nie zu Gesicht gekriegt. Eine Zeit lang hatte Betty Nachtschicht, da hat sie Miss Riverford ein paarmal getroffen. Ansonsten war sie immer schon vor sieben auf und aus dem Haus, wenn Betty kam. Von einem der Türsteher hab ich erfahren, dass Miss Riverford das Haus einige Male sogar schon vor sechs verlassen hat. Was hat das zu bedeuten, Mr. Hugel?«
    »Es bedeutet«, erwiderte der Coroner, »dass Sie einen Mann nach Chicago schicken werden.«
    »Um mit den Angehörigen zu reden?«
    »Sie haben es erfasst. Hat Ihnen Betty was darüber erzählt, wie sie das Schlafzimmer betreten und die Leiche entdeckt hat?«
    »Das Dumme ist, dass sie sich nicht mehr richtig dran erinnern kann. Sie erinnert sich nur noch an Miss Riverfords Gesicht.«
    »Hat sie irgendwas gesehen, was in der Nähe der Toten oder auf ihr lag?«
    »Ich hab sie gefragt, Mr. Hugel. Sie weiß es nicht mehr.«
    »Überhaupt nicht mehr?«
    »Sie erinnert sich nur noch an die starren Augen von Miss Riverford.«
    »Was für ein Spatzenhirn.«
    »Das würden Sie bestimmt nicht sagen, wenn Sie selbst mit ihr geredet hätten.« Littlemore war ein wenig verschnupft. »Wie kommen Sie denn überhaupt drauf, dass sich was verändert hat?«
    »Was?«
    »Sie sagten doch, dass sich in der Zeit zwischen Bettys Entdeckung der Toten und Ihrer Ankunft in dem Zimmer was verändert hat. Aber soweit ich weiß, haben die Leute die Wohnung gleich verschlossen, und dieser Butler hat draußen im Gang Wache geschoben und keinen reingelassen, bis Sie gekommen sind.«
    »Das habe ich auch geglaubt.« Der Coroner lief in seinem winzigen Büro auf und ab, so gut es ging. »Zumindest hat man uns das erzählt.«
    »Und warum meinen Sie, dass jemand im Zimmer war?«
    »Warum?« Hugel blickte finster. »Wollen Sie wirklich wissen, warum? Na schön, Mr. Littlemore. Dann kommen Sie bitte mit.«
    Mit diesen Worten trat der Coroner durch die Tür. Der Detective folgte ihm auf alten Treppen und durch ein Gewirr von Gängen mit abblätternder Farbe drei Stockwerke hinab zum Leichenschauhaus. Hugel sperrte eine Bogentür auf. Als er sie öffnete, schlug Littlemore ein Schwall abgestandener, eisiger Luft entgegen. Er sah Reihen von Leichen auf Holzregalen, einige nackt den Blicken Hereinkommender ausgesetzt, andere mit Laken verhüllt. Unwillkürlich glitt sein Blick zu ihren Genitalien, und er fühlte Ekel in sich

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