Mordkommission
verlassen. Als Ingo Z. daraufhin aggressiv reagierte, war sie aus ihrer Wohnung geflüchtet
und zu Siegfried M. gefahren. Ein Rauswurf bedeutete für Ingo Z., von einer Minute auf die andere ohne Bleibe dazustehen,
zudem drohte seine Geldquelle zu versiegen. Hinzu kam, dass Christa B. zu einem anderen Mann geflüchtet war. Selbst wenn dieser
nicht unbedingt dem Prototyp eines Traummannes entsprach, so war doch auch Eifersucht als denkbares Motiv nicht von der Hand
zu weisen.
Nachdem eine Streifenbesatzung Ingo Z. bei uns abgeliefert hatte, eröffnete ich ihm die Hintergründe der polizeilichen Aktivitäten
und drückte ihm mein Beileid aus. Obwohl der Mann geschockt und tief betroffen wirkte, fiel auf, dass er sehr schnell und
ohne Aufforderung erklärte, für die Tatnacht ein Alibi zu haben. Auf die Frage, ob er denn glaube, ein solches zu benötigen,
wirkte er plötzlich unsicher. Schließlich sagte er, er sähe viele Krimis im Fernsehen und da würde jeder nach einem Alibi
gefragt. Im nächsten Schritt war also abzuklären, ob Ingo Z. für die mutmaßliche Tatzeit zwischen 2.30 Uhr und 3.30 Uhr tatsächlich eines besaß. Das von ihm angebotene Alibi erschien unwiderlegbar: Er habe in der Zeit von etwa zwei Uhr bis
etwa vier Uhr von der Wohnung seiner Freundin aus eine Sex-Hotline angerufen. Wir könnten ja, falls wir das für erforderlich
hielten, die entsprechenden Telefonverbindungsdaten anfordern und überprüfen, schlug Ingo Z. vor. Natürlich hielten wir das
für erforderlich, da es mehr als nur auffällig war, dass er genau während des Tatzeitraums zwei Stunden lang telefoniert hatte.
Irgendetwas war mit dem Alibi faul, das stand für uns fest. Das allerdings sagten wir ihm nicht. Seine Aussage wurde protokolliert
und |45| dann entließen wir ihn. Da er mit der Toten nicht verheiratet war und auch keinen Mietvertrag für die Wohnung hatte, konnten
wir ihm das Betreten der Wohnung nicht mehr gestatten. Das Nachlassgericht musste entscheiden, welche Gegenstände er aus der
Wohnung holen durfte. So lange aber würde die Wohnung zur Eigentumssicherung für die Erben versiegelt werden. Ingo Z. konnte
schließlich einige Tage lang bei einem Bekannten unterkommen.
Die Überprüfung ergab, dass tatsächlich vom Festnetz aus der Wohnung der Getöteten eine entsprechende Telefonnummer angerufen
worden war. Die Verbindung dauerte 59 Minuten und 59 Sekunden und wurde danach getrennt. 27 Minuten später war die gleiche Nummer nochmals angewählt worden, wobei die Verbindung diesmal 36 Minuten lang aufrechterhalten wurde. Die Dauer des ersten Gespräches weckte unser Interesse: War es Zufall, dass die Verbindung
eine Sekunde vor der vollen Stunde abgebrochen worden war? Wie sich bei den Nachforschungen alsbald herausstellte, werden
die sogenannten 0190er-Nummern automatisch nach 59 Minuten und 59 Sekunden getrennt. Die Vorschrift ist zum Schutz der Telefonkunden erlassen worden, sollten diese nach dem Anruf bei einer
der teuren Nummern vergessen, die Verbindung zu trennen.
Konnte dies wiederum bedeuten, dass Ingo Z. in der fraglichen Zeit womöglich gar nicht am Telefon war, während die Verbindung
fortbestand? Dass er, um sich ein Alibi zu verschaffen, die Nummer angerufen und den Hörer danach neben das Telefon gelegt
hatte, während er – rasend vor Zorn oder Eifersucht – zur gut dreizehn Kilometer entfernt liegenden Wohnung seines Nebenbuhlers
fuhr und dort seine Freundin erschlug? Und dass er nach seiner Rückkehr, als er bemerkte, dass die Verbindung nicht mehr bestand,
die Nummer erneut anwählte, in der Hoffnung, die Unterbrechung würde niemandem auffallen? Eine Hoffnung, die sich allerdings
als trügerisch erweisen sollte.
Es galt also festzustellen, ob sich eine der Damen an den Anruf erinnern konnte. Bei unserer Vermittlung ließ |46| ich meinen Anschluss für die im Behördennetz gesperrte Nummer freischalten. Ich geriet an eine automatische Bandansage, die
mir allerlei schöne Erlebnisse versprach, wenn ich die für meine persönlichen Vorlieben zutreffende Ziffer an der Tastatur
meines Telefons wählen würde. Nach etwa zehn Minuten, in denen ich – geführt von zahlreichen weiteren Bandansagen – alle Ziffern
von eins bis neun mindestens einmal gedrückt hatte, legte ich auf. Vermutlich hätte ich nicht mit der Ziffer eins beginnen
sollen. Also erneuter Anruf bei der freundlichen Kollegin in unserer Vermittlung
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