Mordkommission
Angehörigen meiner Kommission zum Tatort aufbrach,
hielten sich die Kollegen der anderen Kommissionen bereit, um uns in jeder erforderlichen Form zu unterstützen. |63| Dies ist nicht nur während der regulären Dienstzeiten eine Selbstverständlichkeit, bei Bedarf kann man jederzeit auf die Hilfe
und Unterstützung aller übrigen Kollegen des Kommissariates zurückgreifen. Jeder von uns ist stets über Handy erreichbar.
Am Tatort erwartete uns der Außendienstleiter und versorgte uns mit den neuesten Erkenntnissen. Eine Zeugin hatte kurz vor
der Tat beobachtet, wie ein circa dreißig- bis vierzigjähriger Mann, 1,70 bis 1,80 Meter groß, aus dem mittlerweile umstellten Haus kam und die Straße überquerte. Er sei zielstrebig in Richtung der Geschädigten
gegangen, die sich gerade über den geöffneten Kofferraum ihres dunkelblauen VW Golf beugte. Die Zeugin hatte nicht weiter
auf den Mann geachtet und den geparkten Wagen passiert. Kurz darauf vernahm sie einen Schmerzensruf. Als sie sich umblickte,
lag die Frau am Boden; der Mann stand über sie gebeugt und richtete sich eben wieder auf. Er sei danach dicht an ihr vorbei
zurück in das Anwesen gelaufen. Sie selbst sei O P-Schwester und habe sofort gesehen, dass die Frau verletzt war, und habe deshalb einen Anwohner, der auf einem Balkon stand, gebeten,
den Notarzt und die Polizei zu alarmieren.
Da die ersten Einsatzkräfte sehr rasch eingetroffen waren, war davon auszugehen, dass sich der Täter noch im Anwesen befand.
Die Zeugin, die am Tatort auf die Polizei gewartet hatte, hatte ihn nicht wieder aus dem Haus kommen sehen. Dementsprechend
waren zahlreiche Streifenbesatzungen zum Tatort beordert worden, die die Anlage immer dichter umstellten. Das Haus, in dem
der Täter verschwunden war, gehörte zu einem aus drei sechsstöckigen Wohnhäusern bestehenden Komplex. Die einzelnen Gebäude
waren durch Keller- und Tiefgaragenzugänge miteinander verbunden, sodass sich der Täter in insgesamt mehr als 60 Wohnungen verborgen halten konnte.
Die Einsatzkräfte wurden so verteilt, dass kein Bewohner ungesehen und unkontrolliert eine Wohnung betreten oder verlassen
konnte. Dank der Zeugin, einer Dame mittleren Alters, hatten wir eine präzise Beschreibung des Täters, die |64| wir sofort an alle Beteiligten weitergaben. Mittlerweile waren fast einhundert Beamte vor Ort, die Straßen waren vollgestellt
mit uniformierten und zivilen Einsatzfahrzeugen, und wir warteten nur noch das Eintreffen des Staatsanwaltes ab, um mit der
Durchsuchung der Häuser beginnen zu können. Bei »Gefahr im Verzug«, wie es im Verfahrensrecht heißt, ist es der Polizei nämlich
nur gestattet, die Durchsuchung einzelner Wohnungen oder Geschäfte anzuordnen, nicht jedoch die von ganzen Wohnhäusern. Diese
Anordnungsbefugnis haben lediglich Richter und bei Gefahr im Verzug Beamte der Staatsanwaltschaft.
Aufgrund des polizeilichen Großaufgebotes blieb es nicht aus, dass sich immer mehr Schaulustige vor den Absperrbändern drängten,
und es dauerte wieder einmal nicht lange, bis die ersten Vertreter der Presse mit ihren Fotografen erschienen. Bald darauf
kam ein Kollege unserer Pressestelle ebenfalls zum Tatort und übernahm die Betreuung der Journalisten.
Telefonisch informierte mich kurz darauf ein Kollege unserer Dienststelle über einen anonymen Anruf. Zur Tatzeit habe der
Mitteiler einen schrillen Schrei gehört und sei daraufhin auf seinen Balkon geeilt. Er habe gesehen, wie ein Mann in das umstellte
Wohnhaus gelaufen sei. Mit Ausnahme einer Frau – er sprach offenbar von unserer Zeugin – sei sonst weit und breit niemand
zu sehen gewesen. Aufgrund des zeitlichen und örtlichen Zusammenhangs musste es sich um den Täter gehandelt haben. Der Anrufer
habe erklärt, diesen Mann zu kennen; es handle sich um den Mieter einer Erdgeschosswohnung. Seine Beschreibung des Täters
wich allerdings völlig von derjenigen der Augenzeugin ab. Vor allem fiel der erhebliche Altersunterschied auf. Während die
Frau einen Mann mittleren Alters beschrieben hatte, gab der Anonymus das Alter des Täters mit circa zwanzig Jahren an.
Nachdem der Staatsanwalt eingetroffen und über den letzten Stand der Dinge informiert worden war, begann die Durchsuchungsaktion.
Dabei wurde aus naheliegenden Gründen zunächst die von dem anonymen Anrufer bezeichnete Wohnung einer genaueren Kontrolle
unterzogen. Auf das |65| Klingeln hin öffnete der Mieter und
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