Mordkommission
beziehungsweise deren antiquierten Moral- und Ehrvorstellungen nicht entziehen konnte. Da Ercan F. zum Zeitpunkt
der Tat noch Heranwachsender im Sinne des Strafrechts war, wurde er nach den Bestimmungen des Jugendstrafrechtes verurteilt.
Er erhielt eine Jugendstrafe von acht Jahren wegen versuchten Mordes. Und unvorstellbar: Seinen Vater erfüllte das Urteil
mit Stolz, beweise es doch für jedermann ersichtlich, dass sein Sohn ein guter Sohn sei, dem die Familienehre wichtiger war
als sein Abitur und eine gesicherte Zukunft. Ich gestehe, ich war versucht hinzuzufügen, dass auch das entehrte Mädchen ein
gutes Kind ist, hat es doch seiner Familie so tapfer unter den Schmerzen der Folter bewiesen, dass es die Wahrheit gesagt
hat …
|56| Horrortat im U-Bahn -Waggon
Ob es auch im folgenden Fall um verletzte Ehre ging oder ob Rache und Eifersucht eine zentrale Rolle spielten, ließ sich aufgrund
der Verschwiegenheit des Täters nie klären.
Wie so oft war es im Büro mal wieder etwas später geworden. Kurz bevor ich mich auf den Heimweg machen wollte, schaute ich
routinemäßig noch mal in den Computer. Dabei blieb mein Blick an einem Einsatz hängen, der gerade anlief: Tötungsdelikt! Der
Gedanke an den nahen Feierabend entschwand im Nirwana. Rasch las ich die bis dato bekannten Fakten im Einsatzprotokoll durch.
Demnach hatten mehrere Passanten sowohl bei der Einsatzzentrale der Polizei als auch bei der Rettungsleitstelle der Feuerwehr
aufgeregt mitgeteilt, ein Mann habe in einer U-Bahn eine Frau mit einem Schwert skalpiert und dann niedergestochen. Die Frau sei vermutlich tot, der Täter sitze neben ihr.
Während zahlreiche Streifen und eine Notarztbesatzung zum Einsatzort, einer oberirdisch gelegenen Endhaltestelle im Süden
Münchens, rasten, informierte ich meine Kollegen und alarmierte die Bereitschaftsbeamten von Erkennungsdienst und Staatsanwaltschaft.
Wenige Minuten später rückten wir mit drei Fahrzeugen aus. Doch schon nach etwa dreihundert Metern versagten Martinshorn und
Blaulicht am ersten unserer damaligen hochbetagten Bereitschaftswagen; beim zweiten Fahrzeug hielten die Sondersignale immerhin
drei Kreuzungen länger durch. So übernahm ich die Spitze des Konvois und lotste die Kollegen durch den dichten Feierabendverkehr.
Dennoch erreichten wir unser Ziel in rekordverdächtiger Zeit ohne Unfall. Die Treppenaufgänge der U-Bahn -Station waren mit rot-weißen Flatterleinen gesichert, Angehörige der U-Bahn -Wache unterstützten die Polizeibeamten bei der Absperrung. In einer Ecke des Zwischengeschosses wurden mehrere Fahrgäste, |57| denen der Schock über das Erlebte deutlich anzusehen war, von Angehörigen des Kriseninterventionsteams und uniformierten Polizeibeamten
betreut. Einer meiner Kollegen organisierte die Vernehmung dieser Zeugen auf unserer Dienststelle.
Am Bahnsteig stand ein einsamer Waggon. Der Fahrdienstleiter hatte ihn abkoppeln lassen und den restlichen Zugteil wieder
in Bewegung gesetzt. Die nachfolgenden Züge wurden im Wechsel auf dem Nachbargleis abgefertigt. Wie wir erfuhren, handelte
es sich bei dem Täter vermutlich um den Exmann des Opfers, der es auf dem Heimweg von der Arbeit abgepasst hatte. Gleich nach
der Attacke zog ein Fahrgast geistesgegenwärtig – noch bevor sich der Zug in Bewegung setzte – die Notbremse, woraufhin der
Zugführer, der von den grausigen Vorfällen nichts mitbekommen hatte, die Druckluftsperren der Zugtüren löste, die sich zischend
öffneten. Die Fahrgäste flüchteten schreiend ins Freie. Zufällig auf dem Bahnsteig anwesende Angehörige der U-Bahn -Wache, die durch die Hilferufe der Fahrgäste schon aufmerksam geworden waren, stürmten mit gezogenen Revolvern das Abteil.
Der Täter saß – wie es schien, völlig ungerührt – auf der Sitzbank neben der inzwischen bewusstlosen Frau und starrte wie
gebannt auf sein blutüberströmtes Opfer. Die Männer überwältigten und fesselten ihn. Der Täter leistete keinerlei Widerstand.
Er lächelte nur still vor sich hin (auch später bei der Vernehmung auf unserer Dienststelle zeigte der Mann keinerlei Reue).
Kurz darauf traf die Besatzung eines Notarztwagens ein und übernahm die Erstversorgung der Schwerstverletzten. Mit dem immer
noch in ihrem Unterleib steckenden Schwert wurde die Frau, eine Afrikanerin, per Hubschrauber in ein Krankenhaus transportiert.
Zum Zeitpunkt der Tatortaufnahme musste man davon ausgehen, dass die Überfallene
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