Mordkommission
erkundigte sich verwundert, was denn los sei, warum überall Polizei sei. Auf die Frage,
ob er denn nicht mitbekommen habe, dass unmittelbar vor seinem Wohnzimmerfenster eine Frau schwer verletzt worden war und
anschließend minutenlang Einsatzfahrzeuge mit Sirenengeheul vorfuhren, gab er an, geschlafen zu haben. Im Bad fiel den Kollegen
ein Handtuch mit einer rötlichen Anhaftung auf, welches sie mit Einverständnis des Mieters zur Überprüfung sicherstellten.
In der Küche lagen im Spülbecken drei größere Küchenmesser, die offenbar gerade abgewaschen worden waren, da noch Wasser an
ihnen haftete. Eines wies eine leicht verbogene Klinge auf. Der Bewohner war sofort damit einverstanden, dass die Kollegen
auch die Messer mitnahmen. Für weitere Überprüfungen baten wir ihn, mit nach draußen zu kommen. Wir hatten eine Zeugensammelstelle
bestimmt, bei der alle Bewohner identifiziert und registriert wurden. So konnten wir gewährleisten, dass niemand übersehen
wurde.
Mittlerweile hatten sich dort in Begleitung von Polizeibeamten mehrere Personen eingefunden. Darunter war auch unsere Tatzeugin,
die zufällig mitbekommen hatte, dass der Täter möglicherweise in einer Erdgeschosswohnung wohnte. Als sie nun sah, wie mein
Kollege mit dem gerade befragten Mieter das Haus verließ, erklärte sie ungefragt, dass dieser Mann mit Sicherheit nicht der
Täter sei. Der Täter sei wesentlich älter und kräftiger gewesen. Er habe eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Heiner
Lauterbach aufgewiesen, was man vom Mieter dieser Erdgeschosswohnung nun beim besten Willen nicht behaupten konnte. Wir ließen
die Zeugin zur Vernehmung auf unsere Dienststelle bringen.
Im Laufe der nächsten beiden Stunden wurden sämtliche Wohnungen und alle Nebenräume der Häuser komplett durchsucht. Wo niemand
angetroffen beziehungsweise nicht aufgeschlossen wurde, öffnete der Angestellte eines Schlüsseldienstes die Türen. Dies gelang
allerdings nicht immer, denn einige Mieter hatten spezielle Schließanlagen mit starken |66| Querriegeln montiert, die man nicht öffnen konnte, ohne die Tür massiv zu beschädigen. Deshalb bat ich die Feuerwehr um Unterstützung.
Mit zwei Drehleitern wurden ein Schlosser der Feuerwehr und zwei Polizisten in Rettungskörben von außen an die Wohnungsfenster
gehievt. Nachdem der Feuerwehrmann die Fenster von außen entriegelt hatte, stiegen die Polizeibeamten in die Wohnungen ein,
um sie nach dem flüchtigen Täter zu durchsuchen. Dies war eine heikle Mission, denn mit jeder Wohnung mehr, die ergebnislos
nach dem Messerstecher durchsucht worden war, stieg die Wahrscheinlichkeit, dass er sich in einer der noch nicht überprüften
Wohnungen aufhielt. Dementsprechend vorsichtig gingen die Beamten vor und achteten sorgfältig auf ihre Eigensicherung.
Gleichzeitig zu dieser Aktion wurden die Autos in der gemeinsamen Tiefgarage und die Keller- und sonstigen Betriebsräume durchsucht,
wobei auch mehrere Polizeihunde zum Einsatz kamen. Selbst die Außenflächen der Dächer mit den Aufbauten der Fahrstühle wurden
überprüft; schließlich hätte sich der Täter ja über einen Speicher und eine Dachluke dorthin flüchten können. Und natürlich
musste auch in den Müllcontainern nach der Tatwaffe gesucht werden. Wie üblich blieb es an mir hängen, den jungen Beamten
der Einsatzhundertschaft diese Aufgabe schmackhaft zu machen. Sollten Sie, verehrte Leser, jemals in die Verlegenheit kommen,
einen Großraumcontainer nach einem Gegenstand in der Größe eines Messers durchsuchen zu müssen, so werden Sie bestätigen können,
dass es vermutlich ein Grundbedürfnis der einen Hälfte unserer Gesellschaft darstellt, kleinere, feste Gegenstände in undurchsichtige
Plastiktüten zu stecken und im Müll zu versenken. Die andere Hälfte der Gesellschaft findet offenbar ihre Erfüllung darin,
in ebensolche undurchsichtige Plastiktüten volle Windeln, Katzenstreu oder in Verwesung übergegangene Speisereste zu verpacken.
Angesichts dieser verlockenden Aussichten bedeutet es jedes Mal eine besondere Herausforderung, die jungen Kollegen zu motivieren,
auf der Suche nach einer Tatwaffe auch wirklich in jede einzelne Tüte und in jeden Karton zu blicken. Mein Angebot, alles
Essbare behalten zu |67| dürfen, schien keinen der Kollegen so recht zu begeistern. Dennoch gaben sie sich sichtlich Mühe, nichts zu übersehen, während
sie in dem stinkenden Unrat
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