Mordkommission
Mann das Schwert unter seinem Mantel hervor und hieb es der Frau gegen den Kopf. In diesem Augenblick
schlossen sich die Türen. Bei der Zeugenvernehmung konnte man deutlich spüren, welche Todesängste die Menschen in dem Waggon
angesichts dieser grauenvollen Tat durchlitten hatten. Die U-Bahn würde sich jede Sekunde in Bewegung setzen und dann wäre man auf der langen Fahrt durch die Tunnelröhre einem irren Mörder
ausgeliefert. Bei dem ersten, wuchtigen Schlag war dem Täter das Schwert aus der Hand gefallen. Er bückte sich, hob es auf
und holte wortlos erneut aus. Mit einem weiteren Hieb trennte er der Frau nahezu vollständig einen Arm ab, den sie mit letzter
Kraft zum Schutz vor ihr Gesicht gehalten hatte. Die Frau stürzte blutüberströmt zu Boden. Da beugte sich der Mann über sie,
packte mit beiden Händen das Schwert und stieß es seinem Opfer mit Wucht in die Brust, wo er es stecken ließ. Dann setzte
er sich ruhig auf den Sitz neben die Verletzte und beobachtete ihren Todeskampf.
Spätabends kamen aus dem Krankenhaus, in dem die Verletzte seit Stunden operiert wurde, beunruhigende Nachrichten. Ihr Gesundheitszustand
sei äußerst kritisch. Falls sie die Verletzungen überlebe, müsse man davon ausgehen, dass sie querschnittsgelähmt bleibe.
Um es vorwegzunehmen: Durch den ersten Schlag des Täters war ein großes Stück des knöchernen Schädeldachs abgetrennt worden
– und doch schafften die Ärzte das schier Unglaubliche: Die Schädeldecke wurde tiefgefroren, gelagert und dem Opfer nach mehreren
Monaten, nachdem die Hirnschwellung zurückgegangen war, wieder eingesetzt. Es gelang, den fast vollständig abgetrennten Arm
anzunähen, die Frau kann ihn heute wieder benutzen, und die Verletzung der Wirbelsäule konnte so weit geheilt werden, dass
die Frau wieder laufen kann, wenn auch mit Bewegungseinschränkungen. Allerdings war es ein sehr langer und schwerer Leidensweg, |61| den die Geschädigte in Krankenhäusern und Reha-Kliniken zurücklegen musste. Ob die vierzehn Jahre Freiheitsstrafe, die das
Schwurgericht später entsprechend den rechtlichen Möglichkeiten wegen versuchten Mordes gegen den Täter verhängte, in Relation
zu dem Grauen und dem Leid stehen, das die Frau ertragen musste, vermag ich nicht zu beurteilen. Sicher ist, dass ich niemandem
wünsche, je auch nur als Zeuge in eine solche Horrorsituation zu geraten. Vor allem aber steht fest, dass es nicht das Verdienst
des Täters war, dass seine Exfrau diesen Angriff überlebt hat. Nur dank der außergewöhnlich schnellen und umsichtigen ärztlichen
Hilfe, dem raschen Transport und den Errungenschaften modernster Unfallchirurgie sowie dem Können aller beteiligten Ärzte
hat diese Frau überlebt.
|62| Fatale Zufälle
Wie jeden Tag besuchte die junge Kinderkrankenschwester Christine M. auch an diesem schönen Sommernachmittag einen behinderten
Jungen in München-Schwabing. Normalerweise fuhr sie mit ihrem Dienstfahrzeug in den Innenhof des Anwesens, in dem ihr kleiner
Patient wohnte. Da der Hof aber gerade geteert wurde, stellte sie ihr Auto in einer Seitenstraße ab, wo sie zufällig eine
freie Parklücke entdeckt hatte. Christine M. achtete nicht weiter auf ihre Umgebung und betrat das Haus, wo sie den Jungen
versorgte. Sie konnte nicht ahnen, dass sie bereits eine halbe Stunde später ein Fall für die Mordkommission sein sollte.
Als das Telefon läutete, meldete sich am anderen Ende der Außendienstleiter der für den Münchner Norden zuständigen Polizeidirektion.
Mit knappen Worten informierte er mich, dass eine junge Krankenschwester auf offener Straße von einem unbekannten Mann niedergestochen
worden war. Als die Frau sich gerade über den Kofferraum ihres Wagens beugte, trat der Täter hinter sie und versetzte ihr
mit einem Messer einen wuchtigen Stich in den Rücken. Die junge Frau war offensichtlich vollkommen arglos. Der Täter flüchtete
in ein Wohngebäude unmittelbar neben dem Tatort, das Einsatzkräfte der Polizei bereits umstellt hatten. Das Opfer wurde schwer
verletzt in ein Krankenhaus in der Nähe eingeliefert.
Ich rief die Mitglieder meiner Kommission zusammen. Ein Kollege sollte im Krankenhaus versuchen, mit der Verletzten zu reden
und – soweit dies ihr Gesundheitszustand erlaubte – eine Beschreibung des Täters zu erfragen. Außerdem sollte er die üblichen
Spurensicherungsmaßnahmen am Opfer veranlassen. Während ich mit den übrigen
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