Mordkommission
Gang. Endlich klingelte
das Telefon der Einsatzleiterin. Sie lauschte kurz, blickte dann in unsere Richtung und hielt den Daumen nach oben – der Beschuldigte
war festgenommen. Er hatte keinen Widerstand geleistet, erfuhren wir anschließend, es gab also keine Verletzten und auch die
Hunde waren wohlauf. Einem Beamten gegenüber machte Otto D. während des Transportes zur Dienststelle dann eine bemerkenswerte
Äußerung: »Sie müssen ja verdammt tief in meiner Vergangenheit gewühlt haben, wenn Sie so einen Aufwand wegen mir betreiben!«
Als Nächstes fuhren wir zur Wohnung des Beschuldigten und durchsuchten sie. Es war uns klar, dass die Wahrscheinlichkeit,
nach so langer Zeit Beweismittel zu finden, nicht besonders groß war. Jedoch wussten wir aus anderen Fällen, dass gerade Sexualstraftäter
nicht selten Gegenstände oder Zeitungsberichte aufbewahren, gewissermaßen |102| als eine Art Trophäe, die sie an ihr Opfer beziehungsweise die Tat erinnern soll. Die Wohnung des Beschuldigten war übersichtlich
und eher karg möbliert, die richterlich angeordnete Durchsuchung förderte nichts Relevantes zu Tage.
Bald darauf waren wir zurück in der Dienststelle, wo wir erstmals persönlich Kontakt zu Otto D. aufnahmen. Aus seiner Arrestzelle
wurde er in ein Büro gebracht, das man uns für die Vernehmung zur Verfügung gestellt hatte. Als der Beschuldigte hörte, dass
wir der Mordkommission München angehören, schien es fast so, als verliere sich sein gespannt wachsamer Blick, mit dem er uns
bislang argwöhnisch beäugt hatte, für einen kurzen Augenblick in der Ferne. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir bereits von seiner
Bemerkung, die uns in der Überzeugung bestärkte, den richtigen Mann vor uns zu haben. Otto D. wurde über seine Rechte belehrt
und erhielt eine Abschrift des Haftbefehls und des richterlichen Durchsuchungsbeschlusses. Er las beides lange und aufmerksam
durch. Dann erklärte er, kein Mädchen mit Namen Sinead zu kennen, ebenso wenig sei ihm die junge Frau auf dem Foto, welches
wir ihm nun vorlegten, bekannt. Im Übrigen mache er keinerlei Angaben mehr und wolle mit einem Rechtsanwalt sprechen.
Dazu erhielt er natürlich Gelegenheit. Als Information für den Rechtsanwalt seiner Wahl teilte ich ihm mit, dass wir in Kürze
mit ihm die Fahrt nach München antreten würden, um ihn dort am Tag darauf dem Ermittlungsrichter zur Eröffnung des Haftbefehls
vorzuführen. Als Otto D. hörte, dass er in Bayern in Untersuchungshaft kommen würde, entschloss er sich, erst in München einen
dort ansässigen Anwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen.
Bereits dreißig Minuten später waren wir startbereit. Für die lange Rückfahrt hatten wir für Otto D. Wurstbrote, Würstchen, Obst und Getränke organisiert. Auf seinen Wunsch hin besorgten wir ihm auch Tabak und Zigarettenpapier.
Wie es für den Transport von Gefangenen in Polizeifahrzeugen vorgeschrieben ist, nahm der Beschuldigte |103| hinten rechts in unserem Dienstwagen Platz. Er trug Hand- und Fußfesseln, wobei wir sorgfältig darauf achteten, dass die Fesselung
nicht zu eng war und ihn nicht mehr als unvermeidbar in seiner Bewegungsfreiheit behinderte. Die Handfesseln wurden an einem
breiten Lederriemen vor seinem Körper so fixiert, dass es ihm unmöglich war, während der Fahrt überraschend den Fahrer zu
attackieren. Dies war eine reine Vorsichtsmaßnahme, sollte der Beschuldigte zu der Überzeugung gelangen, ohnehin nichts mehr
zu verlieren zu haben, und durch einen Angriff einen Unfall provozieren wollen.
Wir verabschiedeten uns von unseren Kollegen aus Bremerhaven, die uns so kollegial unterstützt hatten, und traten die Rückreise
nach München an. Der Himmel war mit tiefhängenden, dunkelgrauen Wolken bedeckt, ein unangenehmer, feuchtkalter Herbstwind
pfiff über die flache Dünenlandschaft, rüttelte immer wieder an unserem Fahrzeug und trieb verwelkte Blätter und Gräser vor
sich her. Im Radio lief leise Musik, die Gespräche drehten sich um Belanglosigkeiten.
Wir waren erst wenige Minuten auf der Autobahn unterwegs, als Otto D. sich erkundigte, was nun aus seinen Hunden würde. Als
er erfuhr, dass wir für eine Unterbringung im Tierheim gesorgt hatten, bedankte er sich mit bewegter Stimme. Offensichtlich
wusste er von den Kollegen, dass wir uns auch dafür eingesetzt hatten, seine Hunde bei dem Zugriff des SEK zu schonen. Schließlich
könnten die Hunde nichts dafür, dass er
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