Mordkommission
Verdacht informiert. Auch dort gelangte
man zu der Überzeugung, dass es sich um den Täter handelte, und so erwirkte sie einen Haftbefehl.
Von den zuständigen Dienststellen in Bremerhaven, dem Wohnort des Verdächtigen, wurde uns jede Unterstützung zuteil, die wir
benötigten. Schon am folgenden Tag nahm das Bild des mutmaßlichen Täters Konturen an. Aus einem zerrütteten Elternhaus stammend,
fand er selbst keinen Halt in seinem Leben, er hatte weder feste Beziehungen noch regelmäßige Arbeit. Nach seiner Wehrdienstzeit
übte er verschiedene Tätigkeiten aus, in denen es ihn jedoch nie lange hielt. Schließlich begann Otto D., Drogen zu nehmen,
er suchte und fand Zuflucht im Alkohol. Er fiel wegen kleinerer Delikte auf und verletzte eines Tages in betrunkenem Zustand
einen Mann mit einem Messer.
Wegen dieser Tat sollte sein DN A-Muster in die Datenbank eingestellt werden. Doch dem Mann gelang es, dies mit Hilfe eines Rechtsanwaltes fast ein Jahr lang hinauszuzögern,
ehe ein Gericht in letzter Instanz entschied, dass die Aufnahme rechtmäßig war. Sie erfolgte schließlich im November 2003
und führte zu dem Treffer. Wie sich später zeigte, war Otto D. aufgrund der Medienberichterstattung durchaus bewusst, dass
er Spuren am Tatort hinterlassen |100| hatte, die zu seiner Identifizierung führen würden, sobald die Polizei sein DN A-Muster kannte. Deshalb hatte er sich gegen seine Erfassung so verbissen gewehrt.
Die Kollegen aus Bremerhaven ermittelten weiterhin, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um einen Einzelgänger handelte, der
mehrere größere Kampfhunde hielt.
Meinen beiden Kollegen und mir war durchaus bewusst, dass trotz der schwerwiegenden Verdachtsmomente die DNA im Slip des Opfers
allein keinen Beweis für die Täterschaft darstellte. Jeder Anwalt würde die Spur mit der Behauptung, sein Mandant habe Stunden
oder selbst Tage vor der Tat einvernehmlich Sex mit dem Opfer gehabt, relativieren und damit wertlos machen können. Es würde
also ganz entscheidend auf die ersten Kontakte mit dem Beschuldigten ankommen, ob der Tatnachweis gelingen oder ob dieses
grausame Verbrechen womöglich für immer ungesühnt bleiben würde.
Ich beschloss daher, mit den beiden Kollegen nach Bremerhaven zu fahren, die Verhaftung des Beschuldigten vorzubereiten und
ihn anschließend sofort selbst zu vernehmen. Dieses Vorhaben stieß bei einigen Kollegen auf Skepsis. Und selbst mein Chef,
als erfahrener Vernehmer bekannt, glaubte nicht an den Erfolg dieser Mission. Da ich aber überzeugt war, dass die Fahrt nach
Bremerhaven die einzige Chance war, den Fall überhaupt noch klären zu können, beharrte ich auf meiner Entscheidung.
Am 18. November 2003 reisten wir zu dritt in einem zivilen Dienstwagen nach Bremerhaven. Noch am selben Abend führten wir eine Einsatzbesprechung
mit den Kollegen der örtlichen Kriminalpolizei und Beamten eines Sondereinsatzkommandos durch, die in den Morgenstunden des
folgenden Tages zugreifen wollten. Nach meiner Schilderung der Tat war deutlich zu spüren, dass allen Kollegen im Raum das
Schicksal des Mädchens sehr nahe ging. Niemand achtete auf die Uhrzeit, die reguläre Dienstzeit war seit Stunden beendet.
Das Sondereinsatzkommando wurde ausdrücklich gebeten, bei der Festnahme so weit irgend |101| möglich das Leben der Kampfhunde zu schonen, da uns bekannt war, wie sehr der Beschuldigte an seinen Tieren hing.
Nachdem alle Einzelheiten für den bevorstehenden Einsatz am kommenden Morgen besprochen waren, verabschiedeten wir uns und
begaben uns ins Hotel. Obwohl die Fahrt bei Nebel, Regen, Sturmböen und hohem Verkehrsaufkommen quer durch Deutschland anstrengend
gewesen war, zog es keinen von uns ins Bett. Die Gedanken und die Gespräche kreisten um den kommenden Tag. Würde es uns gelingen,
das Verbrechen an Sinead O. nach all den Jahren restlos zu klären? Und wie würde Otto D. reagieren, wenn ihn nach so langer
Zeit – quasi von einer Sekunde zur anderen – die Vergangenheit einholte? Weit nach Mitternacht trennten wir uns schließlich,
um uns wenige Stunden später, um fünf Uhr, an der Rezeption wieder zu sehen. Wenig später trafen wir bei der Dienststelle
der Kripo in Bremerhaven ein.
Nun begann das Warten auf die erhoffte Erfolgsmeldung des Spezialeinsatzkommandos, das den Zugriff in Eigenregie durchführte.
Die innere Anspannung war allen deutlich anzumerken. Wir tranken Kaffee, ein Gespräch kam kaum in
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