Mordkommission
Polizeiwache das Telefon und ein |155| anonymer Anrufer teilte den Namen des Flaschenwerfers mit.
Daraufhin wurde ein Haftbefehl gegen den Mann erlassen. Als Beamte der Polizeiinspektion, in deren Bereich er bei seinen Eltern
wohnte, an der Wohnungstür klingelten, öffnete ein jüngerer Bruder des Gesuchten die Tür. Die Beamten erkundigten sich nach
seinem Bruder und erklärten dem Jüngeren auf dessen misstrauische Frage, was sie denn von diesem wollten, dass sie gekommen
seien, um den Bruder »wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil eines Rentners« zu verhaften. Die
Beamten hatten zu diesem Zeitpunkt keinen Grund, hinter der verblüfften und nicht zu Ende formulierten Frage »Sie wollen meinen
Bruder … wegen Körperverletzung mit Todesfolge …?« irgendeine besondere Bewandtnis zu vermuten. Der Beschuldigte wurde angetroffen und festgenommen, was sich für ihn als
ein unglaublicher Glücksfall erweisen sollte. Bei seiner Einlieferung in die Haftanstalt wurde festgestellt, dass er wegen
einer offenen Wunde am Bein eine bereits weit fortgeschrittene Blutvergiftung hatte, die unbehandelt in kürzester Zeit zu
seinem Tod geführt hätte. Es erschien fast wie eine Ironie des Schicksals, dass dem Täter ohne seine schnelle Festnahme das
gleiche Los bevorgestanden hätte wie seinem Opfer, das – wie die Obduktion letztendlich ergab – an einer Blutvergiftung gestorben
war.
Zwei Tage nach dem Tod von Musa B. wurde unsere Bereitschaft zu einem weiteren Tötungsdelikt gerufen. In einer Wohnanlage
im Osten Münchens hatten Anwohner in den frühen Morgenstunden auf einer Parkbank einen schwerverletzten, bewusstlosen Mann
aufgefunden. Kurz nach seiner Einlieferung in ein Krankenhaus starb er. Wie sich herausstellte, hatte der Mann mehrere heftige
Schläge ins Gesicht erhalten, die zu einer Gehirnblutung geführt hatten.
Die intensiven Ermittlungen im Stadtviertel, wo der Verstorbene aufgrund seines häufigen übermäßigen Alkoholgenusses kein
Unbekannter war, führten zur Ermittlung eines |156| Zeugen, der das Opfer am Abend der Tat begleitet hatte. Er berichtete, dass der Tote, ein Zechkumpan von ihm, Streit mit einem
Jugendlichen gehabt hatte, der mit auf der Parkbank Platz genommen und nach Zigarettenpapier gefragt hatte. Dieser Jugendliche,
der von sich behauptet hatte, Kampfsportler zu sein, sei zunehmend aggressiver geworden, weshalb der Zeuge sich schließlich
auf den Heimweg gemacht habe. Nähere Angaben zu dem Verdächtigen seien ihm aufgrund seines damaligen Alkoholpegels nicht möglich.
In den folgenden Tagen verunsicherten wir also nicht nur die Junkieszene am Ostbahnhof, sondern zu jeder Tages- und Nachtzeit
auch die Gäste zahlreicher Bierkneipen und Spelunken im Umfeld dieses Tatortes. Ob das der Grund dafür war, dass uns das Glück
auch in diesem Fall hold war? Ich weiß es nicht. Jedenfalls erhielten wir einen anonymen Hinweis. Der Jugendliche, der den
Rentner erschlagen hatte, hatte sich in seinem Freundeskreis mit der Tat gebrüstet. Der Hinweis ging wenige Stunden nach der
Verhaftung des Flaschenwerfers ein, noch während wir mit den Formalitäten seiner Festnahme beschäftigt waren.
Man kann sich unsere Verblüffung vorstellen, als wir erfuhren, dass es sich bei diesem Täter um den jüngeren Bruder des Flaschenwerfers
handelte! Deshalb war dieser so erstaunt gewesen, als die Kollegen Stunden zuvor seinen älteren Bruder verhaftet hatten. Der
Jüngere war der Meinung, dass es sich dabei um einen Irrtum der Polizei handeln musste und man in Wirklichkeit ihn verhaften
wollte. Denn er hatte, wie sich herausstellte, keine Ahnung davon gehabt, dass sein Bruder ebenfalls einen Menschen so schwer
verletzt hatte, dass der an den Folgen der Attacke verstarb.
Der jüngere der beiden Brüder gestand die Tat, während der ältere bis zuletzt leugnete. Zwei weitere Brüder saßen wegen Rauschgiftdelikten
bereits im Gefängnis, wo nun auch die beiden Totschläger mehrjährige Haftstrafen verbüßen würden. Die Eltern waren aus dem
Kosovo zugezogen. Um |157| den Lebensunterhalt für die zehnköpfige Familie sichern zu können, mussten beide Eltern schwer arbeiten, sodass sie mit der
Erziehung ihrer Kinder nicht mehr zurechtkamen. Dieser Fall machte wieder einmal deutlich, dass durch Gewalttaten nicht nur
die unmittelbar Betroffenen zu Opfern werden, sondern immer wieder auch Angehörige der Opfer wie der
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