Mordlast
entlanggefahren war.
Zu Hause legte er eine CD von Genesis ein – ›We can’t dance‹. Es war die allererste CD, die er sich gekauft hatte, und er hatte während der ganzen Fahrt ein Verlangen danach verspürt, diese Musik zu hören. Die Wohnung wurde erfüllt mit der Stimme von Phil Collins.
Es war das zweite Mal, dass Lovísa ihn besuchte. Beim letzten Mal hatten sie sich fürchterlich gestritten. Beinahe wie früher, als sie noch alle unter einem Dach gewohnt hatten. Sie konnten sich beide für eine Banalität ereifern und dabei fürchterlich stur bleiben.
Er ging nach oben und stellte sich unter die Dusche. Durch die schmalen Fenster fielen ein paar Sonnenstrahlen in das Bad, links und rechts vorbei an Spiegel, Armaturen und Waschtisch. Über Nacht war die Wolkendecke dünner geworden, auch wenn der Frühling noch auf sich warten ließ. Vielleicht würde ihn ja seine Schwester aus Island mitbringen. Er hatte sich den Wetterbericht von Island im Internet angesehen. Dort war es wärmer als in Deutschland.
Er trocknete sich ab, spülte die Dusche aus, ging dann nackt ins danebenliegende Schlafzimmer, um sich frische Sachen anzuziehen.
Dann machte er das breite Bett, räumte ein paar Hefter in einen Schrank für Hängeregister, um dann über die Treppe nach unten ins Wohnzimmer zu gehen. Hier war alles ordentlich. Nur ein Glas stand noch vom Vorabend auf dem Wohnzimmertisch. Es roch immer noch nach Bombay Sapphire und Kumquats. Er hatte sich einen Cocktail gemacht und das Glas über Nacht stehen lassen.
Es klingelte. Davídsson betätigte den Summer, und dann stellte er sich an die Fensterfront, auf der jetzt wieder Regenwasser entlang rann. Er spürte eine innere Anspannung.
In ein paar Minuten ist sie hier. Er wusste, dass es noch so lange dauern würde. Er wohnte im zweiten Gartenhaus, dann musste sie auf den Aufzug warten, der sie in den vierten Stock bringen würde, leise und bequem.
Er hörte ein Rascheln vor der Tür. Sie war da. Er öffnete und trat gleich zur Seite. Der Flur war sehr klein, aber er wirkte nicht so. Durch die großen Scheiben konnte man ungehindert ins Wohnzimmer sehen und nach draußen in den riesigen Hof, auf dem vor dem Krieg ein Gebäudekomplex der Universität gestanden hatte.
Sie lächelte, als sie ihre matschigen Stiefel auszog. Er sah, wie sich eine kleine braune Pfütze auf dem hellen Parkett bildete.
Davídsson sagte nichts, erwiderte ihr Lächeln aber auch nicht.
»Ich mache das gleich wieder weg. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Lovísa lächelte noch immer.
»Wie war dein Flug?« Er umarmte sie, nachdem sie einen Lappen aus der Küche geholt hatte, um damit das Schmutzwasser aufzuwischen.
Die Anspannung war geblieben, bei ihm und bei ihr.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass die Musik immer noch laut durch seine Wohnung hämmerte. Seine Schwester hatte nichts dazu gesagt. Sie hatte begonnen, überall ihre Sachen wie Hundemarken zu verteilen. Im Bad allerhand Döschen und Tuben, eine Zahnbürste, im Schlafzimmer einige Kleidungsstücke, die sie aufs Bett warf, und im Wohnzimmer den Koffer vor der Fensterfront, in dem ein unordentlicher Rest zurückblieb.
»Ich habe dir ein paar Flaschen Víking mitgebracht«, sagte sie, nachdem sie sich auf die schwarze Couch gesetzt hatte. Sie nahm beinahe den ganzen Platz für sich ein, weil sie sich fast über die ganze Fläche gelegt hatte. Nur ihre Füße baumelten in der Luft kurz über dem gläsernen Couchtisch.
Ólafur Davídsson blieb nichts anderes übrig, als sich auf einen der Sessel zu setzen, auf denen er sonst niemals saß. Er nickte, was ein Zeichen der Dankbarkeit für das Bier sein sollte. Seine Gedanken waren noch bei seinem Fall und den Journalisten.
Die Musik war jetzt kaum noch zu hören. Nur die Bässe und die hellen Töne schwebten leise durch das Wohnzimmer.
»Wie geht es dir?«
Sie lächelte, aber das Lächeln konnte alles bedeuten oder nichts. Sie sah gut aus, aber nicht glücklich.
»Weißt du noch? Du konntest früher nicht Siglufjörður sagen.«
Davídsson nickte. Er hatte es nicht vergessen. Kein Isländer sagte Siglufjörður. Alle sagten nur Sigló, aber er wollte es immer richtig sagen. Er konnte das Wort als Kind jedoch nicht richtig aussprechen. Er hatte sich damals darüber geärgert, dass er nicht richtig sagen konnte, aus welchem Ort er kam. Wo er zu Hause war. Deshalb sagte er heute immer noch Siglufjörður.
»Ich würde gerne noch einmal dorthin zurückkehren. Die Zeit einfach
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