Mordlast
mich dazu entschlossen, den Tag des offenen Denkmals zu nutzen, um mit meinen Schülern eine Open-Air-Ausstellung zu organisieren.«
»Hatten Sie da auch mit dem Berliner Denkmalverein Kontakt?«, fragte Davídsson, nachdem er einen Schluck vom Wein genommen hatte.
»Ja. Der Berliner Denkmalverein hat uns dabei unterstützt und zeitgleich Führungen im Schwerbelastungskörper angeboten. Die Plakate, die meine Schüler in der Projektwoche gemacht hatten, wurden vor dem Schwerbelastungskörper aufgestellt und Interessenten konnten sich an die Schüler wenden, wenn sie weitere Fragen hatten. Dabei war auch immer jemand vom Verein da, um sie bei der Beantwortung der Fragen zu unterstützen. Und ich war natürlich auch noch da.«
Davídsson beobachtete, wie ein Spatz versuchte auf den dünnen Fenstersprossen zu landen. Für ein paar Sekunden konnte er sich sogar halten, dann machte er einen neuen Anlauf am danebenliegenden Fenster.
»Der kommt fast jeden Tag«, sagte die Lehrerin, die Davídssons Blick gefolgt war. »Ich lege immer ein paar Körner auf die Sprossen und die knabbert der Spatz dann. So können ihm die Tauben nichts wegfressen.«
»Deine Leidenschaft für den Spatz interessiert die Herren von der Polizei wohl weniger«, sagte der Mann und nahm sich einen Nachschlag aus dem Wok, nachdem er gefragt hatte, ob jemand noch etwas wollte.
»Und was waren das für Tafeln, die Ihre Schüler aufgestellt haben?«
»Meine Schüler konnten sich die Themen selbst wählen. Ich habe meine Unterlagen im Arbeitszimmer und auch ein paar Bilder, die wir für die Presse gemacht haben. Aber vielleicht bekomme ich die Themen auch noch so zusammen. Warten Sie mal …« Sie überlegte einen Moment. »Ja, also, eine Tafel beschäftigte sich mit dem Grundstück, eine mit dem Auftrag durch die NS-Planung, eine andere mit der Konstruktion und den Messungen, eine andere Tafel mit den französischen Kriegsgefangenen, die den Schwerbelastungskörper bauen mussten, und eine Tafel beschäftigte sich mit dem Denkmalswert.«
»Du hast die vergessen mit der Degebo und die mit Germania«, ergänzte der Mann.
»Ja. Stimmt. Insgesamt wurden sieben Tafeln aufgehängt. Jeden Tag eine Neue. Das Medienecho war verhältnismäßig groß für das kleine Projekt. Wir hatten zwei Zeitungsartikel und eine Rundfunksendung, in der zwei meiner Schüler über das Projekt berichteten.«
»Also ein Erfolg auf der ganzen Linie, wie Ihr Essen«, sagte Engbers.
»Danke. Ich hatte nicht gedacht, dass es so erfolgreich sein würde. Immerhin kennt den Schwerbelastungskörper doch kaum jemand und die meisten wollen ihn einfach nur weghaben. Es gab immer wieder Rufe, die die Sprengung des Schandflecks forderten. Am schlimmsten waren die Kleingärtner.«
»Wie meinen Sie das?«
»Denen hat man das Grundstück damals weggenommen, um den Schwerbelastungskörper bauen zu können. Die Kleingärtner waren schon lange da, bevor der Schwerbelastungskörper geplant wurde. Die Anlage ging damals über das gesamte Grundstück. Natürlich hat sich damals niemand lautstark gewehrt, aber nach dem Krieg hat man es dann umso mehr getan.«
»Und mit dem Eintrag in die Denkmalliste endeten diese Initiativen?«
»Naja. Ob es daran lag, weiß ich nicht. Der Berliner Denkmalverein hat sich ab diesem Zeitpunkt besonders um die Verschönerung des Grundstücks gekümmert. Der ganze Unrat wurde von freiwilligen Helfern entfernt und das Gestrüpp wurde beseitigt. Jetzt soll ja sogar ein fester Infostand dort gebaut werden und eine Plattform, von der aus man auf das Dach des Schwerbelastungskörpers sehen kann.«
»Davor gab es viele Ideen, was man mit dem Grundstück anfangen könnte. Eine Firma wollte sogar eine Kletterwand aus dem Pilz machen.«
»Mein Mann und ich unterstützen den Berliner Denkmalschutzverein mit Spenden und ihm liegt der Schwerbelastungskörper besonders am Herzen.«
Er nickte. »Die Geschichte ist gerade für die jungen Leute besonders wichtig. Wenn jemand daraus lernen kann, dann sie.«
Es war zwar schon sehr warm, wurde aber immer noch früh dunkel. Engbers fuhr schweigend über die Landstraße Richtung Berlin. Er war mit seinen Gedanken offensichtlich an einem anderen Ort.
Davídsson dachte an Martina Krug. Sie hatte ihm eine Nachricht auf sein Handy geschickt, während sie bei der Lehrerin gegessen hatten.
Sie wollte ihn wiedersehen.
Er sah aus dem Seitenfenster und beobachtete die vorbeifliegenden Bäume, die in der Dunkelheit wie Gespenster
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