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Mordlast

Mordlast

Titel: Mordlast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Guzewicz
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wirkten.
    Ab und zu blitzte die Alufolie auf, die Tierschützer an die Bäume gehängt hatten, um die Waldbewohner davor abzuschrecken, auf die Straße zu laufen.
    Aus den Augenwinkeln sah er ein Reh, das wie angewurzelt am Straßenrand stand.
    Engbers musste das Tempo drosseln, wenn er nicht einen Unfall riskieren wollte. Bei dem Gedanken daran zuckte Davídsson innerlich zusammen.
    Nicht noch ein Unfall.
    Engbers nahm den Fuß vom Gas. Er hatte das Reh ebenfalls gesehen.
    Davídsson dachte an Fabian Schubert. Er würde sein Leben in einem Rollstuhl verbringen müssen. Das Leben des Jungen hatte sich binnen Sekunden verändert. Rapide verschlechtert. Träume waren geplatzt. Stattdessen gab es jetzt mitleidige Blicke. Berufe konnten nicht mehr ausgeübt werden, Freunde würden andere werden als die, die es sonst wahrscheinlich geworden wären. Vielleicht würde er auch ein anderes Mädchen kennenlernen, oder überhaupt keins.
    Er holte sein Handy hervor und las die SMS, obwohl er nicht genau sagen konnte, warum. Er kannte bereits jetzt jedes einzelne Wort: ›Es war eine kurze, aber schöne Zeit mit Ihnen. Ich würde sie gerne noch einmal erleben. Dieses Mal haben Sie die Wahl, wo.‹
     
    Es war kein guter Tag für die Innenrevision. Das Wiesel versuchte sich nichts anmerken zu lassen, als er Davídsson auf dem Flur begegnete, aber der Blick seines Partners sprach Bände.
    Davídsson ging in die Teeküche und holte sich einen Kaffee. Er hatte sich bis tief in die Nacht mit Lovísa unterhalten. Sie hatte ihm noch ein weiteres Geschenk von Island mitgebracht.
    Es war eine CD von Eivør. Sie hatte sie bei 12 Tónar für ihn gekauft. Das gelbe Logo klebte noch auf der Hülle. Der Laden war Kult in Reykjavík. Er hatte dort selbst beinahe jede CD gekauft, die er aus dieser Zeit besaß. Sie hatten alle Lieder gehört und sich dabei über alles Mögliche unterhalten. Über Árni, über ihre Eltern und über ihren Bruder.
    Er brauchte jetzt einen starken Kaffee, um den Tag zu überstehen. Für einen Augenblick überlegte er, ob er Martina Krug eine Antwort schicken sollte. Seine Schwester würde übermorgen Abend wieder zurück nach Island fliegen und dann könnte er sich mit ihr treffen, ohne noch mehr gemeinsame Zeit mit Lovísa zu verlieren.
    Das Telefon auf seinem Schreibtisch riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah Engbers Nummer und hob ganz automatisch ab.
    »Wir haben vielleicht den Kupferdieb. Ich hätte dich gerne bei dem Verhör dabei. Möglichst ohne deine Schatten. Geht das?«
    »Ich bin in einer halben Stunde da.«
    »Das Verhör wird erst mal ein Kollege von der Direktion 4 führen, aber dann sind wir an der Reihe.«
     
    Sie saßen alle hinter der verspiegelten Scheibe im Keller: Engbers mit seinen zwei Kollegen, eine Frau in Uniform, er und Wittkampf, der ihm kurz zugeflüstert hatte, dass er ebenfalls von Engbers angerufen worden war.
    Auf der anderen Seite der Scheibe saß eine kleine unscheinbare Frau. Eine Albanerin, Türkin oder Griechin. Genau wusste das keiner von den Anwesenden. Sie hatte bei ihrer Festnahme keinen Ausweis bei sich gehabt und sie hatte noch nichts zu dem Uniformierten gesagt, der ihr gegenübersaß. Er war groß, einem Bären ähnlich, mit kurzem schwarz gelocktem Haar und Schnauzbart. Das Hemd der grünen Uniform spannte am Bauch.
    David gegen Goliat, hatte Engbers mit seinem breiten Grinsen kommentiert, als Wolfgang Ritter, der Kollege von der Direktion 4, den Raum betreten hatte.
    Ólafur Davídsson erinnerte es eher an einen Schauprozess. Vielleicht, weil er der verschreckten Frau kaum Chancen zugestand, obwohl ihre Körpersprache etwas anderes sagte. Sie hatte Mut, sich den Fragen zu stellen.
    Er dachte an den Geschichtsunterricht in der Schule. An Þingvellir. Vielleicht war es die isländische Musik, die er die ganze Nacht über gehört hatte und die ihn wieder an das erinnert hatte, was er längst vergessen geglaubt hatte.
    Er dachte an das Island seiner Urahnen, in dem es schon im Jahr 930 zwei Gerichtsinstanzen gab. Die erste strafrechtliche Instanz war das Fjórðungsdómur oder Viertelgericht. Wenn das nicht ausreichte, konnten die Streitenden ein höheres Gericht, das Alþingi anrufen, das sogenannte Fimmtardómur oder Fünftelgericht. Dort waren die Goðar die Richter, die zusammen das Lögrétta bildeten und über das Recht entschieden. Der Vorsitzende der Richter, der Lögsögumaður, erklärte das Gesetz, das im Wesentlichen aus zwei Büchern bestand. Zum einen

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