Mordlast
er wieder das Blaulicht eingeschaltet, um an allen vorbeizuziehen, aber er ließ es sein. Das Wiesel hatte jetzt fast nichts mehr gegen ihn in der Hand. Sie waren selbst dabei gewesen und wussten, dass Iris Schrauder gegenüber der Presse gelogen hatte.
Sie waren zu Mitverschwörern geworden. Unfreiwillig hatten sie erleben müssen, wie sie alle gegeneinander ausgespielt hatte.
Vor der Ausfahrt hatte sich eine lange Schlange gebildet. Er schlug ein paarmal wütend auf das Lenkrad ein, ohne dabei auf die Hupe zu kommen. Neben ihm auf dem Standstreifen rollten die ersten Autos auf die Ausfahrt zu. Als sie das grün-weiße Auto vor sich sahen, blinkten die meisten hastig und ordneten sich wieder hinter ihm ein.
Davídsson grinste.
Er lenkte das Polizeiauto ein Stück weiter nach rechts, sodass er gerade mit den zwei rechten Rädern auf dem Standstreifen stand. Neben ihm war noch genügend Platz für vorbeifahrende Autos, aber keiner hatte den Mut, ihn zu überholen. Er beobachtete im Rückspiegel, wie immer wieder ein Auto aus der Schlange scherte, um sich wenige Sekunden später wieder einzuordnen.
Das ist noch besser als Blaulicht, dachte er immer noch grinsend.
Diese Obrigkeitshörigkeit gab es in Island nicht. Die Polizei war dort meistens nur ein zahnloser Tiger. Viel zu träge, um zu beißen. Vielleicht brauchte man diesen Tiger dort auch überhaupt nicht.
Es gab jedenfalls kaum Kapitalverbrechen und der Papierkram für einen unbedeutenden Strafzettel war viel zu anstrengend, wenn man sein Soll erfüllt und der Stadt genügend Geld verschafft hatte.
Lovísa saß auf den obersten Stufen der Treppe.
Davídsson war mit dem Aufzug in den vierten Stock gefahren und hatte sie erst überhaupt nicht gesehen.
»Ich habe mich ausgeschlossen. Als ich merkte, dass ich mein Handy vergessen habe, ist es mir aufgefallen.«
Er umarmte sie zur Entschuldigung.
»Ich wusste nicht, wie ich dich erreichen kann. Es ist einfach besch…, wenn man die Sprache nicht richtig kann. Man merkt erst, wie abhängig man davon ist, wenn man in einem anderen Land ist. Es verändert einem, wenn man sich nicht ausdrücken kann. Man verliert das Selbstvertrauen.«
Davídsson hatte sie nur wenige Male deutsch sprechen gehört. Es war seltsam, diese Sprache aus ihrem Mund zu hören. Ihre Stimme hörte sich dann tatsächlich fremd an. So, als ob das, was sie sagte, nicht von ihr kam.
»Es tut mir leid …«
»Was wollen wir heute Abend machen?«
»Was immer du möchtest, Schwesterlein.«
»Ich würde gerne mit dir essen gehen. Es kann ruhig etwas feiner sein und muss nicht unbedingt schwedisch sein.« Sie grinste, weil sie wusste, dass er den Alten Schweden vorgeschlagen hätte, wenn sie das nicht gesagt hätte.
Er grinste jetzt ebenfalls. »Ich hatte überhaupt nicht an schwedisch gedacht. Ich kenne nämlich auch noch andere Restaurants in Berlin.«
Sie hatten sich entschieden, in das Shōchū zu gehen.
Als sie an der Bar vorbeigelaufen waren, hatte er unwillkürlich auf den Platz gesehen, auf dem er mit Martina Krug gesessen hatte. Jetzt war er leer.
Seine Schwester war seinem Blick gefolgt, hatte aber nichts gesagt. Vielleicht wartete sie darauf, dass er es ihr erzählte.
Sie bekamen einen Tisch direkt neben dem Jahrtausende alten Tonpferd, das jetzt weiß angeleuchtet war und dabei interessante Schatten warf.
»Die Bar heißt Shōchū. Das ist der Name für ein japanisches alkoholisches Getränk und das Restaurant heißt Pferd. Mă ist das chinesische Wort für Pferd«, erklärte seine Schwester. »Ich hoffe, wir bekommen aber etwas anderes. Sonst müssen wir nachher noch in die Bar.« Sie lächelte, aber Davídsson dachte noch immer an die Bar.
Er konnte den Platz, auf dem sie gesessen hatten, nicht mehr sehen, aber die Atmosphäre im Restaurant war ähnlich angenehm wie in der Bar nebenan. Er hatte gesehen, dass es auch noch einen Zigarrenklub gab und ein weiteres Restaurant namens Uma.
Das ganze Ensemble war chinesisch gehalten. Eine Mischung zwischen alter Tradition und Moderne, hatte er gedacht, als sie sich die anderen Räume angesehen hatten.
»Du denkst über eine Frau nach.« Lovísa sah ihn an, ohne dass er erkennen konnte, was sie gerade dachte.
Er hätte mit ihr darüber sprechen können, aber er hatte es nicht getan und jetzt war es zu spät.
Vielleicht hätte ich es tun sollen, dachte er jetzt.
»Ich denke an den Fall.« Das war nur eine halbe Lüge. Martina Krug hatte mit ihm über Alfons Propstmeyer
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