Mordlast
Engbers holte sich eine Zigarette aus der Packung und steckte sie in den Mund, ohne sie jedoch anzuzünden. Er war versucht ihr zu sagen, dass sie jetzt das ganze Ausmaß echter Polizeigewalt verspüren könnte, ließ es aber sein.
Sie zu provozieren brachte die Wahrheit auch nicht ans Licht.
»Ich bleibe auch.« Ólafur Davídsson war sich nicht sicher, warum er dabei sein wollte. Er folgte einem inneren Gefühl, das er nicht beschreiben konnte.
»Auch wegen der Höschen?« Engbers grinste breit. Er wollte sich nicht mehr zurückhalten.
Davídsson sah auf die Uhr. Er wurde langsam nervös. Iris Schrauder saß seit fast einer Stunde auf einem Stuhl am Esstisch, während er darauf wartete, dass Andreas Rach und sein Team zur Durchsuchung anrückten. Er wollte, dass es dieses Team war, weil es bisher den gesamten Fall bearbeitet hatte, und nicht ein fremdes, das nicht wusste, wonach es suchen sollte.
Er hatte während der ganzen Zeit kaum ein Wort mit Iris Schrauder gewechselt. Sie starrte stumm aus dem Fenster zum Garten, der immer unheimlicher wurde. Die Schatten der blätterlosen Bäume und Sträucher wurden länger und der Pool mit dem grünlichen Wasser wurde schwärzer.
Es ist der letzte Abend mit Lovísa, dachte er. Er wollte ihn mit ihr verbringen, um wiedergutzumachen, dass er sie fast die ganze Zeit alleine gelassen hatte. Er nahm sein Handy heraus, um ihr mitzuteilen, dass es später werden würde, als er ihr noch am Morgen versprochen hatte. Er hätte es ihr gerne erklärt, aber er wollte es ihr nicht sagen, wenn Iris Schrauder zuhörte. In ihrer Gegenwart war kein Platz für Vertraulichkeiten. Und er musste bei ihr bleiben, das wilde Tier bewachen, sodass es nicht ausbrechen konnte oder wichtige Beweise vernichtete. Also tippte er die Worte in sein Handy in der Hoffnung, dass sie es trotzdem verstand.
Da sah er eine neue Nachricht von Martina Krug. Ihr Name stand in dunkelbraunen Lettern auf dem beleuchteten Display.
Er las die Nachricht: »Warum melden Sie sich nicht? Was mache ich falsch?«
Nichts, dachte er. Es ist nur der falsche Zeitpunkt.
Dieses Mal antwortete er. Es war ein schneller Entschluss, beinahe wie ein erster Reflex.
»Ich will dich nicht verlieren.«
Er legte das Handy auf den Tisch, sodass er es im Blick hatte. Iris Schrauder hatte offenbar von all dem nichts mitbekommen. Sie saß unverändert auf ihrem Platz.
Im Garten hatten sich automatisch Lampen angeschaltet, die ihm die gespenstische Aura nahmen und ihn in indirektes Licht tauchten. Lichtakzente, die ihn wieder gemütlich wirken ließen.
»Ich habe das hier nie genossen«, sagte sie plötzlich mit dünner Stimme. »Mein ganzes Leben habe ich nur einem Traum hinterhergetrauert und dabei viel falsch gemacht.«
Ist das der Weg zu einem Geständnis?, überlegte Ólafur Davídsson.
Bevor er etwas sagen konnte, klingelte es an der Tür und gleichzeitig vibrierte sein Handy auf dem Tisch. Er sah wieder ihren Namen auf dem Display. Er zuckte innerlich zusammen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihn anrufen würde.
Iris Schrauder erhob sich völlig mechanisch und öffnete die Tür. Andreas Rach kam alleine, aber kaum hatte er die Haustür hinter sich geschlossen, klingelte es wieder und sein Team trat in die Wohnung ein.
Das Handy vibrierte weiterhin auf dem Tisch.
Davídsson beobachtete Iris Schrauder, wie sie sich wieder auf ihren Stuhl setzte. Neben ihr postierte sich ein Uniformierter und Rach begann damit, Schränke zu öffnen. Er hatte Davídsson nur kurz zugenickt, als er sah, dass sein Handy auf dem Tisch klingelte, aber Ólafur Davídsson nahm das Gespräch nicht an.
»Ihr seid spät dran«, sagte Davídsson.
»Wir standen im Stau. Es tut mir leid, dass wir nicht früher kommen konnten.«
Rach war routiniert. Er öffnete einen Küchenschrank nach dem anderen und fand darin nur das, was man ohnehin dort vermutete.
Seine Männer untersuchten die Anrichte. Einer tastete die Ritzen der Couchpolster nach Verstecken ab.
»Wo schlafen Sie, Frau Schrauder?« Die Frage hatte sich Davídsson gestellt, als er sich mit der Wohnung vertraut gemacht hatte.
»Oben. In der Mitte wohnt eine alte Frau, die hier lebenslanges Wohnrecht hat.«
»Dann gehen Sie bitte vor und zeigen uns alles.«
Rach folgte ihr und Davídsson über eine breite Steintreppe nach oben. In der Zwischenetage stand tatsächlich ein anderer Name an der Tür.
Das ausgebaute Dach bestand nur aus einem Arbeitszimmer und einem Schlafzimmer mit
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