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Mordlast

Mordlast

Titel: Mordlast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Guzewicz
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diese Entscheidung für seinen Chef bedeutete. Er hatte zwei Kinder im Teenageralter, die Geld brauchten, um sich zu normalen Erwachsenen zu entwickeln. Er wusste von Wittkampfs Frau, die irgendwo einen Halbtagsjob bei einem Discounter hatte und von dem Haus, das er noch abbezahlte. Ein Monat ohne Geld konnte lang werden und Banken wurden schnell ungeduldig, wenn kein Gehalt mehr auf dem Konto einging, auch wenn Wittkampf Beamter war.
    »Danke.« Davídsson wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Er wusste nicht, wie er Wittkampf klarmachen konnte, wie dankbar er dafür war.
    »Machen Sie was daraus.«
     
    Davídsson war wieder zum Tatort zurückgekehrt. Es hatte ihn förmlich in diesen schweren Klotz gezogen, als er die ersten Seiten der Akte überflogen hatte.
    Die ersten Seiten der Todesakte oder der Akte eines toten Menschen.
    Menschenakte müsste es eigentlich heißen, dachte er, als er über den Erdboden lief, der jetzt trocken und hart war. Nur unter den Bäumen im Schatten war es erträglich. Oder in seinem kühlen Saab, wenn er nicht Schrott gewesen wäre. Das alte Polizeiauto hatte keine Klimaanlage.
    Er hatte sich die Menschenakte mitgenommen und hielt sie jetzt zum Schutz vor die Augen.
    Von der Kleingartenanlage wehte der Geruch von gegrilltem Fleisch herüber und er bekam Appetit auf ein ordentliches Lammsteak mit BBQ-Soße.
    Auf dem Grundstück hatte sich nichts geändert. Die Zeit schien hier besonders stillzustehen. Er dachte daran, dass der Pilz eigentlich nur für zwanzig Wochen da stehen und danach an seine Stelle ein riesiger Triumphbogen treten sollte, für einen Triumph, den es schließlich nie gab. Zum Glück, dachte er, obwohl er die deutsche Vergangenheit nur vom Unterricht in Island kannte.
    Davídsson blieb vor dem stehen, was von der alten Messhütte übrig geblieben war. Eine Messuhr hing von der Messapparatur herunter. Sie schien bis auf die zerborstene Glasscheibe noch intakt zu sein. Die Tür fehlte, genau wie das Dach und ein Fenster, das den Blick früher einmal zum eigentlichen Schwerbelastungskörper freigegeben haben musste. Übrig geblieben waren nur die Löcher in einer weißen Wand, die wie ein Gerippe aus dem Boden ragte.
    Die Tür, die sich nicht mehr öffnen ließ und die in das Innere des Schwerbelastungskörpers führte, war rechts von ihm. Er entschied sich dazu, in die andere Richtung zu gehen. Er war auf dieser Seite noch nie gewesen.
    Ólafur Davídsson dachte unwillkürlich an seine Unterhaltung mit Engbers und den Kreissektor, als er an der Grube entlanglief, die plötzlich neben ihm endete. Jetzt ging der trockene Boden bis an den Pilz heran und ein grauer Container mit Schutt war zu sehen, den er vom Eingang aus nicht hatte erkennen können. Hier stand auch noch ein schmaler Rest des Baugerüstes, das zur Betonsanierung notwendig gewesen sein musste.
    Er überlegte, ob er über die Leiter nach oben auf das Dach klettern sollte, aber er entschied sich nach kurzem Zögern dagegen. Seine Höhenangst war größer als die Neugierde.
    Davídsson wunderte sich darüber, dass hier noch kein Graffiti auf die kahlen Wände gesprüht worden war. Überall sonst in der Stadt waren die Wände beschmiert. Selbst in der Touristenhochburg im Stadtinneren kämpften die Ladenbesitzer dagegen an, aber hier schien niemand daran Interesse zu haben, bunte Farbe auf die großen leeren Flächen zu sprühen.
    Davídsson fand den fensterlosen Rahmen wieder und stieg dort erneut in die Werkstatt ein, die ihn mit angenehm kühler Luft empfing. Er fragte sich, warum nicht längst Obdachlose hier drinnen schliefen. Es war kühl und trocken und die Leute in der Umgebung achteten nicht darauf, was hier passierte.
    Er streifte die weiße Farbe von seinem Anzug, die am dunklen Stoff hängen geblieben war, als er durch die Öffnung geklettert war. Er suchte einen Platz, wo er sich in die Akte der österreichischen Kollegen vertiefen konnte, ohne sich weiter schmutzig zu machen, aber er fand keinen. Also legte er die Akte auf einen Mauervorsprung und blätterte sie im Stehen durch.
     
    Davídsson stieg wieder aus dem Fenster ins Freie, nachdem er die ganze Akte überflogen hatte. Er hatte sich in seinem Notizbuch Fragen notiert, die er Iris Schrauder stellen wollte, wenn sie in seiner Gegenwart am späten Nachmittag verhört werden würde. Als er sich in der Hitze aufrichtete, wurde ihm für einen Moment schwarz vor Augen. Er stützte sich gegen den heißen Beton, bis die Welt aufhörte, sich zu

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