Mordlast
»Ich werde mich an die Empfehlung der Innenrevision nicht halten.« Er sah dem Wiesel direkt in die Augen. »Mein Kollege hat das Blaulicht aus verständlichen Gründen eingesetzt und er hat sich innerhalb des BKA sehr verdient gemacht, weshalb ich dieser Empfehlung nicht folgen werde.«
Das Wiesel konnte seine Ungläubigkeit nicht verbergen. »Es gibt bei diesen Entscheidungen kein Ermessensspielraum für Sie.«
»Davídsson, würden Sie bitte einen Moment draußen warten?« Wittkampf stand auf und begleitete Ólafur Davídsson zur Tür, die er sanft hinter ihm schloss.
Wittkampfs Sekretärin sagte etwas, aber Davídsson hörte ihr nur mit halbem Ohr zu. Sie versuchte, die Wartezeit zu überspielen, aber er war mit seinen Gedanken noch in dem Raum nebenan. Er hörte, wie das Wiesel lauter wurde und Wittkampf ebenso laut zurückgab. Er hatte seinen Chef noch nie in dieser Stimmlage gehört. Auch wenn er nicht verstehen konnte, was gesagt wurde, war deutlich die Erregung in seiner Stimme erkennbar.
Einige Minuten später stapften die Kollegen von der Innenrevision hörbar davon. Ihre Gesichter sprachen dabei Bände.
Ólafur Davídsson wollte sich gerade von der Sekretärin verabschieden, als er von Wittkampf zurück in dessen Büro gerufen wurde.
Wortlos setzten sie sich auf ihre Plätze und Wittkampf schob Davídsson eine ziemlich umfangreiche Mappe über den kleinen Tisch.
»Die kam heute Morgen mit der Post vom österreichischen Bundeskriminalamt.«
Davídsson las den Namen auf der vergilbten Akte. Er war handschriftlich mit einem roten Stift auf dem Aktendeckel vermerkt. Eine Mischung zwischen Sütterlinschrift und Schreibschrift.
»Lassen Sie sich nicht davon irritieren, dass da nur BK steht. In Österreich ist es genau anders herum. Das Bundeskanzleramt wird dort mit BKA abgekürzt und das Bundeskriminalamt mit BK.« Er warf kurz einen Blick auf seinen Schreibtisch, auf dem ein paar andere Akten lagen. Das war kein Vergleich zu Ólafur Davídssons Schreibtisch, aber für Wittkampfs Verhältnisse war er voll. »Ich hatte bisher leider keine Gelegenheit dazu, mir die Akte anzusehen, aber ich glaube, Sie wissen etwas damit anzufangen.«
»Ich hatte eigentlich nur um eine Auskunft bei den österreichischen Kollegen gebeten und nicht damit gerechnet, dass sie mir gleich eine ganze Akte schicken.«
Wittkampf nickte. Die Auseinandersetzung mit der Innenrevision war ihm noch anzumerken. Er war jetzt nicht so ruhig wie sonst, auch wenn er immer noch einen relativ ausgeglichenen Eindruck machte. Davídsson spürte aber, dass das nur noch eine oberflächliche Hülle war. Er überließ es Wittkampf, das Thema anzusprechen.
»Vielleicht haben sie sich deshalb nicht mehr bei mir gemeldet.« Davídsson tippte mit dem Zeigefinger ein paarmal auf die Akte. »Stattdessen haben sie mir gleich die ganze Akte über Alfons Propstmeyer geschickt.«
»Wie kommen Sie mit dem Fall voran?«
Davídsson sah ihm an, dass ihn die Antwort im Augenblick nicht wirklich interessierte. Wittkampfs Blicke wanderten nach draußen, wo die Hitze die Menschen in die Häuser vertrieb, oder in den Schatten der Bäume, wenn sie unbedingt ins Freie mussten.
»Es ist komplizierter als angenommen«, antwortete er deshalb nur kurz.
»Die Presse will Ergebnisse.«
»Nachdem sie von Iris Schrauder aufgewiegelt wurden.«
Wittkampf nickte. »Ich habe davon gelesen. Vermutlich haben wir dieser Iris Schrauder auch zu verdanken, dass die Innenrevision hier aufgetaucht ist.«
»Jetzt ist sie erst einmal bei uns unter Verschluss«, sagte Davídsson.
»Sie wissen ja, dass Sie trotzdem Abstand halten müssen. Emotionen sind in unserem Job ein Fehler, den Sie sich jetzt auf gar keinen Fall leisten können.«
Wittkampf sah wieder aus dem großen Fenster. Die Sonne hatte die Scheiben längst aufgeheizt und diese wirkten jetzt wie Heizkörper. »Sie haben mir die Wahl gelassen. Entweder Sie oder ich.«
Er sah Davídsson mit einem Blick an, den dieser nicht deuten konnte. Die Sekunden vergingen, ohne dass etwas gesagt wurde. Wittkampfs dunkelblonde Haare hingen in breiten Bahnen von der Stirn. Es sah beinahe so aus, als sei er in Eile. Wie auf dem Weg zum nächsten S-Bahnhof, wo jeden Moment der letzte Zug abfahren würde. Davídsson hatte seinen Chef schon mehrmals mit diesem Gesichtsausdruck dorthin hasten gesehen, wenn es abends spät geworden war.
»Ich bleibe nächsten Monat zu Hause«, sagte Wittkampf schließlich.
Ólafur Davídsson wusste, was
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