Mordlast
gehabt.
Er hatte Martina Krug noch am Vorabend angerufen, nachdem er an der Rezeption seinen Aufenthalt um einen Tag verlängert hatte. In einer halben Stunde wollte er sie mit einem Mietwagen zu einem besonderen Tag abholen.
Zeit nur für sie beide.
In angenehm kühler Atmosphäre und bei Kerzenschein im weißen Salon wollte er zunächst mit ihr frühstücken. Er hatte alles noch am Vorabend organisieren lassen und an jedes Detail gedacht. Frische rote Rosen würden auf dem einzigen Tisch im Salon stehen. Ein eigener Koch würde ihnen in diskretem Abstand frische Appetithäppchen zubereiten, die in seinem Hotelzimmer ihren krönenden Abschluss finden sollten.
Das Telefon neben dem Flachbildfernseher klingelte, als er aus der Dusche kam.
»Ja?«
»Du musst sofort in die Keithstraße kommen. Irgendetwas ist mit Iris Schrauder.« Engbers Stimme klang beunruhigt.
»Ich ...«
»Es ist wichtig. Sie haben mich gerade angerufen.«
Engbers legte auf, bevor Davídsson antworten konnte.
Er versuchte Martina Krug auf der kurzen Fahrt zu erreichen, aber sie nahm nicht ab und ein Anrufbeantworter war auf der anderen Seite auch nicht eingeschaltet worden.
Ihr rosa Kleid war verschmutzt. Er sah den Urin und es roch streng nach Exkrementen. Iris Schrauder lag auf dem Boden, als Ólafur Davídsson Engbers in die Zelle folgte.
Der Arzt drehte sie auf den Bauch. Staub hatte den Stoff an den Schultern grau gefärbt. Davídsson sah die Handschuhe, die noch am Gitter vor dem Fenster hingen. Ihre Enden, die normalerweise bis über die Ellenbogen reichten, waren zusammengebunden, während die ineinander verknoteten Finger stümperhaft aufgeschnitten worden waren.
»Satinhandschuhe aus Stretch-Satin«, sagte der Arzt, nachdem er sich aufgerichtet hatte. »Sie ist schon eine Stunde tot.«
»Wenigstens wissen wir ja, wer dieses Jahr die Rokoko-Prinzessin ist«, sagte der Beamte, der neben Engbers stand.
Engbers Augen begannen zu funkeln.
»Sie wagen es auch noch, nach dieser Schlamperei Scherze zu machen?«
Das Lächeln des Uniformierten gefror augenblicklich zu einer Grimasse.
»Wie konnte so eine Sauerei überhaupt passieren? Was lernt ihr Idioten eigentlich bei eurer Scheiß-Ausbildung?«, brüllte Engbers. »Das war eine wichtige Zeugin in einem Mordfall und ihr hohlen Rüben lasst zu, dass sie sich mit diesen Scheiß-Satinhandschuhen umbringt? Das wird Konsequenzen haben. Das sage ich euch.«
Engbers verließ die Zelle, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
Davídsson sah sich um. Er sah die Toilettenschüssel ohne Klobrille in der Ecke und die Pritsche mit der dünnen Matratze auf der anderen Seite. Ein Drehhocker und ein kleiner Metalltisch waren im grau gefliesten Boden verankert. Die Wände waren ebenfalls gefliest und warfen das Blitzlicht des Polizeifotografen kahl und lieblos zurück. Die einzige Lichtquelle an der Decke war durch einen festen Metallkäfig geschützt.
»Werden den Gefangenen nicht normalerweise solche Dinge abgenommen, um so etwas zu verhindern?«, fragte Davídsson.
Der Arzt nickte stumm. »Ich schicke die Handschuhe ins Labor, aber so wie das Kleid aussieht, gehören die Handschuhe dazu. Sie bestehen zu 90% aus Polyamid und zu 10% aus Elasthan. Das reicht, um sich daran aufzuhängen, wenn man so wenig wiegt wie sie.«
Zwei Mitarbeiter von einem Bestattungsunternehmen kamen mit einer Bahre herein und luden die Leiche von Iris Schrauder darauf. Davídsson sah jetzt die bläuliche Verfärbung an ihrem Hals und die geplatzten Äderchen in ihren offenen Augen. Vermutlich war das Zungenbein gebrochen und sie war langsam erstickt.
Der Fotograf verließ den Raum, nachdem einer der Bestatter die Augen von Iris Schrauder für immer geschlossen hatte. Sie wirkte jetzt trotz des unangenehmen Geruchs friedlich und beinahe wie eine Spielzeugpuppe aus Porzellan.
»Können wir sie mitnehmen?«
»Wird sie obduziert?«
Der Arzt nickte wieder. »Bringen Sie sie in das Pathologische Institut der Charité. Ich rufe dort an und kündige die Einlieferung der Leiche an.«
Davídsson stand am Fenster. Die Hitze hatte die Stadt mittlerweile als eine lautlose Geisel genommen. Der Stromverbrauch schnellten in den Bürogebäuden in die Höhe und die Klimatechniker waren rund um die Uhr im Einsatz.
Wie die Polizei.
Er dachte an die Polizisten unten im Zellentrakt. Menschen, deren Aufgabe darin bestand, andere Menschen zu bewachen, vor der Allgemeinheit, aber auch vor sich selbst. Er spürte jetzt den
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