Mordlast
bewegten, dämpften automatisch ihre Stimmen.
Lebendig begraben, dachte Davídsson, obwohl er keine Angst vor solchen Räumen hatte.
Es gab mehrere Gänge mit unterschiedlich großen Schließfächern. In der Mitte standen ein paar Tische in Kabinen. Hierhin konnten sich die Mieter mit ihren Schätzen zurückziehen, um sich still und unbeobachtet über sie zu freuen.
»Es ist Nummer 433.« Der Bankmitarbeiter wirkte routiniert. Davídsson hatte die Dienstsiegel gesehen, die über manchen Schlössern klebten. Die Steuerfahndung und die Kollegen vom Diebstahldezernat des LKA waren hier schon öfter zu Gast gewesen.
Sie blieben vor einem mittelgroßen Fach in Hüfthöhe stehen. Ein breiter Ordner würde darin Platz finden können, vielleicht auch nur ein Stapel Papiere.
Der Schlosser machte sich wortlos ans Werk, ohne dass ihn jemand dazu aufgefordert hatte. Der Einsatz würde einige tausend Euro kosten, weil sie den Schlüssel nirgends gefunden hatten.
Hoffentlich lohnt es sich, hatte Engbers gedacht, als er sein Okay dazu gegeben hatte. Berlin war pleite und konnte sich kostspielige Ausgaben nicht leisten. Schon gar nicht, wenn sie keine Erfolge brachten.
Der Schlosser trat zur Seite, nachdem der Lärm der Bohrmaschine verstummt war und sie alle ein lautes Knacken gehört hatten. Der Bankangestellte unterschrieb eine Quittung und zog sich mit dem Schlosser diskret zurück.
Rach zog sich Handschuhe über und öffnete dann das Fach, in dem sie einen verschlossenen Behälter vorfanden. Er nickte kurz, als er den Behälter aus dem Fach gezogen hatte. Rach fühlte am Gewicht, dass er nicht leer war.
Engbers war erleichtert.
Der Tresorraum war jetzt für andere Mieter gesperrt, aber sie waren trotzdem in eine der Kabinen gegangen. Es war eng und unangenehm, aber das störte jetzt niemanden.
Die Spannung überwog, als Rach die Klappe öffnete und sie die gelben Papiere mit den Hakenkreuzen sahen. Jeder von ihnen nahm sich einen dünnen Stapel vor. Sie überflogen Berichte über Fluchtversuche und über den Baufortschritt, Erschießungsprotokolle und Namen, die Nummern zugeordnet worden waren.
»Wir werden eine Weile brauchen, bis wir die Papiere ausgewertet haben.«
»Sind sie echt?«
»Auch das müssen wir überprüfen.«
»Wie lange wird das dauern?«
Rach überlegte. Er würde mehrere Männer darauf ansetzen. Die inhaltliche Auswertung und die chemische Untersuchung, die die Echtheit verifizieren würde, könnten parallel erfolgen.
»Eine Woche.«
Engbers nickte. Er würde den Leitenden Sachbearbeiter der Spurensicherung nicht noch einmal unter Zeitdruck setzen. Er wusste, dass das nur zu schlechter Stimmung zwischen LKA und KTU führte, aber nicht zu einem schnelleren Ergebnis.
Als sie das Bankgebäude verließen, stach die Sonne durch den Wolkenhimmel. Noch tropfte ein bisschen Regen vom Himmel und ein Regenbogen bildete sich über dem Ostteil der Stadt.
Ólafur Davídsson dachte unwillkürlich an das Regnboginn in der Hverfisgötu, in dem er alle großen Filme seiner Jugend gesehen hatte, die es in Reykjavík zu sehen gab. Das Kino war damals das erste Kino in Island gewesen, das mehr als nur einen Vorführraum hatte. Er dachte an das gigantische Eröffnungsspektakel 1980, kurz nachdem seine Schwester auf die Welt gekommen war. Er hatte lange auf diesen Abend gespart und dafür hart als Zeitungsausträger gearbeitet.
Engbers summte die Nationalhymne der DDR, als sie alleine zum Wagen gingen.
»Bis du plötzlich zum Ostalgiker geworden?«
Engbers lachte. »Ich musste nur an den Text denken: ›Denn es muss uns doch gelingen, dass die Sonne schön wie nie über Deutschland scheint.‹ Das klingt doch nach einem riesigen Regenbogen über dem Osten, oder?«
»Oder auch im Westen«, scherzte Davídsson. »Beim Staatsbesuch von Roman Herzog in Brasilien hat die Kapelle der Polizeiakademie von Porto Alegre versehentlich die DDR-Nationalhymne geschmettert. Und das war schon 1995.«
17
A ls sie an der Tür von Werners Büro klopften, hatte es bereits aufgehört zu regnen und die Sonne hatte die Wolken am Himmel vertrieben. Werner schloss gerade das letzte Fenster, als er Davídsson und Engbers mit einem lauten »Herein« in sein Büro bat.
Davídsson gab ihm die Hand und stellte ihm Engbers vor.
»Ihren Namen habe ich letztens in der Zeitung gelesen«, sagte Werner, der sich offensichtlich erst in diesem Augenblick daran erinnerte, dass Davídssons Name hierbei nur in einem negativen
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