Mordlicht
»Gehen wir hinein
und plaudern ein wenig mit den Herren.«
»Warte einmal«, bremste ihn Mommsen und wies auf ein
weiteres Fahrzeug, das über die Zuwegung rollte, um dann direkt neben dem
Haupthaus zu parken. Dem schwarzen Jaguar entstieg Georghe Smitkov.
»Die Sache wird immer spannender«, meinte Große Jäger.
»Das scheint eine Vollversammlung zu werden. Lautet unsere Frage möglicherweise
nicht: Smitkov oder Schöppe, sondern und ?«
»Bleibt nur noch offen, wer von beiden den Hut
aufhat.«
Der smarte Geschäftsmann war ausgestiegen. Er trug
businesslike eine Konferenzmappe aus hellem Leder unterm Arm. Ohne sich
umsehen, wandte er sich dem Hoteleingang zu.
»Wo sind die beiden anderen geblieben?«, fragte Große
Jäger. »Merkwürdig, dass Mommsen sie bei seiner Erkundung nicht gesehen hat.«
»Vielleicht sind die drei zur Wahrung der Diskretion
in einem Hotelzimmer verabredet«, erwiderte Christoph.
Sie warteten noch eine Viertelstunde, bis Christoph
das Signal zum Aufbruch gab. Große Jäger wandte sich dem Hintereingang zu,
während Christoph und Mommsen um das Gebäude herumgingen.
Zu beiden Seiten des Eingangs bewachten zwei steinerne
Hunde das Entree. Rechts führten ein paar Stufen in den angebauten
Wintergarten, den Mommsen ihnen vorhin beschrieben hatte. Zwei Kellner mit bis
zum Boden reichenden weißen Schürzen richteten die Tische für die abendlichen
Gäste her. Doch keine ihrer Zielpersonen war zu sehen. Von der zur linken Hand
liegenden Rezeption kam ihnen der Mann im dunklen Anzug entgegen, von dem sie
vermuteten, dass er der Direktor war.
»Guten Abend«, grüßte er freundlich. »Haben Sie
bestellt? Darf ich Ihnen behilflich sein?«
»Vielen Dank«, sagte Christoph, »aber wir sind
verabredet.«
»Mit wem?«, fragte der hilfsbereite Patron und blickte
auf, als Große Jäger von der anderen Seite zur kleinen Gruppe dazustieß. Der
Oberkommissar zeigte mit dem Daumen über die Schulter in die Richtung, aus der
er gekommen war.
»Er sitzt dahinten«, raunte er. »Allein.«
»Wenn ich vorangehen darf«, bot der Hoteldirektor an,
doch Christoph lehnte ab.
Außer dem Wintergarten gab es noch einen gemütlich
eingerichteten Raum, der ebenfalls auf die Abendgäste wartete.
Sie folgten Große Jäger, der sie durch eine kleine
Halle führte, die nach oben offen war. Mittelpunkt des Raumes war ein großer
Kamin, über den zwei Werkzeuge, die Hellebarden glichen und zum Torfstechen
benutzt wurden, an der Wand hingen. Wuchtige Sessel luden zum Aperitif, Mokka
oder zur Zigarre nach dem Diner ein.
Ganz hinten in der Ecke befand sich noch ein weiterer
kleiner Raum, der fast den intimen Charakter eines Separees aufwies.
Am Tisch, der für zwei Personen gedeckt war, saß
Smitkov. Er sah auf, als die drei Beamten eintraten, und zog leicht die linke
Augenbraue in die Höhe. Wenn er überrascht war, so ließ er es sich nicht
anmerken.
Mit seiner manikürten Hand griff er zum Sherryglas,
nippte daran, betupfte sich vorsichtig mit der schweren Damastserviette die
Lippen und sagte: »Guten Abend. Das überrascht mich, Sie hier zu sehen. Was
führt Sie aus Büsum hierher?«
»Husum«, antwortete Christoph. »Wir kommen aus Husum.«
Smitkovs Blick, mit dem er die drei musterte, schien
fast ein wenig amüsiert.
Jetzt war auch der Hoteldirektor hinzugetreten.
Argwöhnisch musterte er die drei Beamten. Insbesondere Große Jäger schien sein
Missfallen zu erregen.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er an Smitkov gewandt.
»Danke. Die Herren wollen gleich wieder gehen«, sagte
dieser, worauf sich der Patron diskret entfernte.
»Zuvor haben wir noch ein paar Fragen an Sie«, sagte
Christoph. »Dürfen wir uns setzen?«
Smitkov hatte nicht vor, die Polizisten zum Gespräch
einzuladen. »Das kommt mir ungelegen. Ich erwarte geschäftlichen Besuch. Morgen
– nein! Warten Sie.« Er legte die Zeige- und Mittelfinger an die Schläfe.
»Morgen bin ich auf Reisen. Übermorgen, sagen wir am Nachmittag, stehe ich
Ihnen gern zur Verfügung. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden.«
»So läuft das nicht«, polterte Große Jäger dazwischen.
»Terminabsprachen können Sie mit anderen treffen. Wir machen unsere Planungen
immer noch ohne Sekretärin. Wenn mein Boss sagt: ›Jetzt!‹, dann meint er es
auch so.«
Christoph musste innerlich schmunzeln. Der
Oberkommissar hatte ihn bisher noch nie als »Boss« bezeichnet. Es war eine
seiner Finten, um dem ungerührten Smitkov zu verstehen zu geben, dass er
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