Mordloch
weißt genauso gut, wie ich, was da mit den Lkw läuft. Du musst nur mal mit diesem Osotzky ins Gespräch kommen, diesem Fernfahrer. Hast du den schon mal erlebt, wenn er in seinem Gartenhaus seine vier, fünf Halbe hatte?«
Seitz nickte, wollte sich dazu aber nicht äußern. Stattdessen wechselte er das Thema: »Aber auch bei Westerhoff bin ich mir nicht sicher«, sinnierte er. »Erinnerst du dich, wie er hier mal mit seinen angeblichen Anlagemodellen in die Windkraft angegeben hat? Er wirbt Investoren an, verspricht ihnen sagenhafte Renditen – und ob da jemals etwas dabei rausgekommen ist, weiß kein Mensch.«
»Weißt du«, begann Wühler vorsichtig, »ich hab’ mir überlegt, ob es nicht sinnvoll wäre, die Polizei einzuschalten ...«
Seitz war überrascht. Auch er umklammerte jetzt den runden Balken des Begrenzungszauns. Er überlegte, um sich dann zu entscheiden: »Das sind alles nur Mutmaßungen, Karl.« Er blickte talabwärts. »Ich denke, wir als Geschäftsleute sollten uns neutral verhalten.« Die beiden Männer schwiegen sich an und hörten nur das gurgelnde Rauschen des Baches und das Zwitschern der Vögel. »Als Wirt kannst du nicht gleich alles, was du hörst, der Polizei melden«, fuhr Seitz fort und lächelte verkrampft, »... wir haben doch auch so etwas wie eine ... Schweigepflicht. Außerdem können wir nichts Konkretes sagen. Wenn du’s genau nimmst, könnte jeder von uns in die Sache verwickelt sein. Der andere weniger, der andere mehr.«
»Ich nicht«, erwiderte Wühler energisch.
»Na ja, Karl, um ehrlich zu sein – du doch am allermeisten.«
Wühler sah Seitz, der sich neben ihm nun mit dem Rücken gegen den Holzzaun gelehnt hatte, fest in die Augen. »Red’ jetzt du nicht auch noch so daher!«
»Beruhig’ dich, Karl«, Seitz lächelte, »ich sag’ nur, was viele Leute meinen. Flemming war ja nicht gerade dein Busenfreund. Kein anderer hat dich in den letzten Monaten derart attackiert, wie er.«
Wühler überlegte, was er erwidern sollte. »Mensch, Martin, ich werd’ doch selbst bedroht.«
Der obere Roggenmüller drehte sich zu ihm her: »Wie? Du wirst bedroht?«
Wühler nickte müde. Ihm war heiß. Die Sonne knallte den beiden Männern ins Gesicht.
»Schon zum zweiten Mal«, erklärte der Waldhauser Ortsvorsteher, »sie stecken mir nachts Zettel mit Drohungen an den Stall. Einen hätt’ ich schon erledigt, aber ich sei nun der Nächste.« Nachdem er es gesagt hatte, fühlte sich Wühler irgendwie erleichtert. Es war das erste Mal, dass er mit jemanden darüber sprach.
»Und warum zeigst du das nicht an?«
»Die Sache ist mir zu heiß, Martin«, flüsterte Wühler, »die Stimmung ist gegen mich, überall. Was da auf den Zetteln steht, zeigt doch eindeutig, dass die Schreiber meinen, ich hätt’ den Flemming umgebracht. Die wollen mir die Geschichte anhängen ...« Sein Tonfall verriet Angst. »Glaub’ bloß nicht, dass die Polizei dann ausgerechnet mir glauben wird. Außerdem hab’ ich für die Nacht zum Sonntag kein richtiges Alibi.« Er zögerte. »Und weißt du, was mich am meisten stört? Dieser Kommissar lässt sich bei mir gar nicht mehr blicken. Jedes Mal, wenn’s an der Haustür klingelt, zuck’ ich zusammen.«
»Mensch, Karl«, versuchte ihn Seitz zu beruhigen, »ich glaub’, du steigerst dich in etwas rein, was gar nicht so ist.«
»Nein, nein, wirklich nicht. Martin, die Sache ist verdammt ernst. Und ich glaub’ wirklich: Die gehen über Leichen.«
Vier Tage Kerker. Sarah weinte, fror, zitterte. Sie fühlte sich schmutzig. Zwar hatte ihr der Kotzbrocken frische Kleidung gebracht, sogar ihre eigene, die er offenbar aus ihrer Wohnung geholt hatte, doch ihr Wohlbefinden konnte dies nicht steigern. Ein paar Mal hatte sie der Kerl in einen Waschraum geführt, wo sie die Zähne putzen konnte. Als sie sich dabei widerspenstig zeigte, hatte er ihr zwei schallende Ohrfeigen verpasst.
Inzwischen fiel es ihr bereits schwer, die Tage zu zählen. Wie oft war es schon dunkel geworden? Sie versuchte, immer wieder zu schlafen. Denn ihre Bitte nach Zeitungen oder einem Buch quittierte der Mann nur mit einem hohnvollen Lachen. Ihre Gedanken fuhren pausenlos Achterbahn. Die schlimmsten Albträume hatten sich erfüllt – als ob sie ihre jetzige Situation mit ihrer panischen Angst vor einer Gefängniszelle geradezu selbst herbeigeredet hätte.
Das Scheppern der metallenen Riegel und das anschließende Drehen eines Schlüssels schreckten sie. Sie kannte dieses
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